Oberhausen. Einst waren beide geschmähte Underdogs: Sprechblasen-Hefte und Pop. Die nächste Ausstellung im Schloss Oberhausen zeigt sie als bunte Verbündete.
Der Trend hört nicht mehr auf den uncoolen Namen „Schallplatte“, sondern nennt sich mondän „Vinyl“: Die Musikindustrie könnte von den schicken Schwarzen wahrscheinlich weit höhere Auflagen umsetzen – wären nicht die wenigen verbliebenen Presswerke restlos ausgebucht: ein Versorgungsengpass, der mal nichts mit der Coronakrise zu tun hat.
Um die Jahrtausendwende war’s noch ein Flohmarktartikel; inzwischen wünschen sich selbst 19-Jährige auf dem Gabentisch ein kleines Plattenspieler-Einsteigermodell, bevorzugt im Retro-Look. Nur in Oberhausen sah und sieht es für Vinyl-Trendsetter mau aus: Die beste Einkaufschance bot lange – und auch nur einmal im Jahr – die Schallplattenbörse im Revierpark Vonderort. Ein Fachgeschäft? Fehlanzeige. Dabei halten andernorts sogar die besser sortierten Buchhändler ein Eckchen frei fürs kostspielige Vinyl – zu dem es inzwischen auch opulente Bildbände en gros gibt.
Die Ludwiggalerie Schloss Oberhausen macht mit ihrer kommenden Ausstellung „Vinyl“ also bekannt mit einer zwischen Schmachtendorf und Alstaden noch vernachlässigten Sammler-Bewegung. Eigentlich sollte die erste Ausstellung des Jahres 2022 sogar das gesamte Große Schloss bespielen: als umfassende Schau zur Geschichte der Plattencover – seit sie sich in den Nachkriegs-USA vom schlichten Packpapier-Look verabschiedeten und immer extravangantere Gestalt annahmen. Bücher zur „LP Cover Art“ gibt’s dort seit den 1970er Jahren – der absoluten Hochzeit der schönen Plattenhüllen.
Von „Mecki“-Büchern bis zur Comic-Fachpresse
Für die Ludwiggalerie wäre es die erste ganz der Cover-Kunst gewidmete Schau gewesen – die allerdings der verfrühte Abschied einer Kuratorin vereitelte. „Vinyl“, jetzt untertitelt „Die Comic-Cover“, dürfte selbst als kleinere Schau mit seinem Spezialthema alles andere als ein „Lückenbüßer“ sein. Denn ihr Kurator Dr. Eckart Sackmann ist als Comic-Verleger, Autor und Ausstellungsmacher dem Thema seit Jahrzehnten verbunden: angefangen mit einer Arbeit zu den hanseatischen „Mecki“-Bilderbüchern bis zur Bestandsaufnahme „Die deutschsprachige Comic-Fachpresse“ hat der 70-Jährige sein Sujet gefunden.
Denn eigentlich, sollte man vermuten, sind Popmusik und die „neunte Kunst“ der Sprechblasen und Panels doch natürliche Verbündete: Beide, jedenfalls in der biederen Bundesrepublik der Nachkriegszeit, vielfach geschmähte Parias einer Subkultur; beide unisono als „Jugendverderber“ gescholten – ehe erst die nächste Generation in Pop und Comics auch große Kunst erkannte.
Schwaches Album, aber bildschönes Cover
Zumal für Comiczeichner war und ist es wie ein Ritterschlag, auch mal ein Plattencover für namhafte Musiker gestalten zu dürfen. Allerdings sind die größten Alben des Rock-Kanons (und hier zählt ja zuerst die Musik) durchweg durch einprägsame Fotografien geadelt: ob als stilvolle Porträts, große Action-Posen oder stilbildenden Surrealismus, wie bei den Werken des „Hipgnosis“-Teams für Pink Floyd.
So hatten die „Cheap Thrills“, das von Robert Crumb so überaus detailreich ausstaffierte Cover für Janis Joplins Erstlingswerk, lange eine Sonderstellung im Bildergedächtnis der Rock-Verehrer. Das beste Album ihrer nur 27 Lebensjahre war’s aber nicht. Auch die zwischen Progressive Rock und Folk-Traditionen changierenden Briten von „Jethro Tull“ hatten mit ihren Plattencovern schon alles durchgespielt: von Porträts ihres Flöten-Hexenmeisters Ian Anderson über Ölgemälde und Klapp-Figürchen – bis zur Comic-Doppelseite für „Too old to Rock’n’Roll“. Und ausgerechnet diese Augenweide wird selbst von Fans als eines der schwächeren Tull-Alben wohl nur selten aus dem Regal gezogen.
Fast gleichzeitig, 1976, erschien in den „Kolonien“, das in New York eingespielte vierte Album von „Kiss“: Fantasy-Künstler Ken Kelly ließ die Vier für „Destroyer“ wie außerirdische Invasoren daherstapfen – aber dazu ist bis heute gar nicht viel Verwandlung nötig: Kiss haben sich mit überragendem Cartoon-Selbstbewusstsein seit Jahrzehnten konsequent zu herzhaft rockenden Comic-Figuren stilisiert.
Die virtuelle Band aus vier Comic-Helden
Den umgekehrten Weg zu ganz anderer Musik gingen die britischen „Gorillaz“ um Sänger Damon Albarn: Als virtuelle Band mit den Comic-Helden Russel Hobbs, Murdoc Niccals, 2-D and Noodle – alle Vier Kreationen des zackigen Zeichners Jamie Hewlett. Doch längst wagen die Gorillaz auch den Sprung vom animierten Videoclip auf die Live-Bühne.
Noch erfüllender, als ein Plattencover zu zeichnen, ist natürlich eine ganze Musiker-Biographie als Graphic Novel: Hier hat es Reinhard Kleist zu einsamer Meisterschaft gebracht: Nach dicken Bänden über Johnny Cash und Nick Cave ist sein „Starman“-Band über den kometenhaften Aufstieg von David Bowie nun druckfrisch auf dem Markt. Kleist hätte sich damit, sechs Jahre nach der Überblicksschau „Streich auf Streich“, wahrlich eine Einzelausstellung im Schloss Oberhausen verdient.
Die Ausstellung „Vinyl! Die Comic-Cover“ ist vom 16. Januar bis 8. Mai 2022 als Kabinett-Ausstellung in der Ludwiggalerie zu sehen.