Mülheim. Mit einem Clean-Walk startete der Jugendstadtrat sein erstes Projekt, der ADFC sammelte gleichzeitig Müll auf Mülheims Radschnellweg. Eine Bilanz
Drei Mitglieder des Jugendstadtrates aus der Projektgruppe Nachhaltigkeit – Martha (17), Leticia (16) und Konstantin (14) – stehen bereits um 9.30 Uhr vor dem Rathaus. Die von der MEG bereitgestellten Mülltüten, Greifzangen und Handschuhe sind noch hübsch auf der Rathaustreppe drapiert, die Stimmung ist gut, ein wenig aufgeregt. Schon trudeln die ersten willigen Bürgerinnen und Bürger ein, eine Frau mit zwei Kindern, jeweils eigene Greifzangen längst in der Hand. „Zum ersten Mal“, strahlt die junge Frau.
Kurzfristig war der Beginn der Aktion um eine halbe Stunde nach hinten verschoben worden. „Für einen Samstag ist es ja schon recht früh“, erklärt Martha den neuen Starttermin. Vom Rathaus soll es direkt zur Ruhr in die Ruhranlagen gehen, dann über die Schloßbrücke und durch die Müga, zum Schluss über den RS 1 zurück zum Rathaus.
Jugendliche in Mülheims Partnerstadt Tours starten parallel ebenfalls einen Clean-Walk
„Wir wollen das offen halten, ob wir alle gemeinsam gehen“, sagt Martha, „uns den Gegebenheiten anpassen.“ Allzu viel Zeit lassen können sie sich allerdings nicht, denn es existiert ein gewisser Zeitdruck. Schließlich starten Jugendliche in der Partnerstadt Tours parallel ebenfalls einen Clean-Walk. Kurz nach zwölf soll es auf dem Rathausmarkt eine Live-Schaltung geben, wenn alle gefüllten Mülltüten an der Sammelstelle liegen.
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Im Endeffekt waren es gut 30 Aktive, die am Samstag fleißig Müll sammelten. Die jüngsten Vertreter, Ava (4) und Jonas (5), trinken ihren Saft, den der Jugendstadtrat als Dankeschön organisiert hat. Alles nachhaltig und bio aus dem Unverpackt-Laden um die Ecke, vegane Sandwiches und Kuchen – und alle Beteiligten mampfen hochzufrieden in der Sonne. Wie ist solch eine gute Laune nach dem Müllsammeln zu erklären?
Mülheimerin: „Es ärgert mich schon, wie viel Müll überall rumliegt“
„Erst sieht man die großen Teile Müll“, erklärt die Mutter. „Dann die kleinen, und dann versinkt man im Tun, sammelt Müll, einfach nur Müll. Das hat was Meditatives.“ Sie lacht. Ihre Schwiegermutter will es darauf aber nicht beruhen lassen. „Es ärgert mich schon, wie viel Müll überall rumliegt“, bringt sie ihren Ärger zum Ausdruck.
„Man wundert sich schon, was die Leute so wegschmeißen“, ist ständig zu hören. Kaputte Sachen wie Regenschirm, Jacke, Fußball sind kuriose Funde, es überwiegen aber Glasscherben und vor allem Zigarettenkippen, gern auch in engster Verbindung mit Kaugummi, die kaum merklich die Mülltüten füllen. Sogar in den gepflegten Blumenkästen auf der Schloßbrücke fanden Sienna (11) und Mirja (12) die umweltschädlichen Filter. Eine junge Frau, die nur zufällig die Aktion mitbekommt und augenblicklich mit ihren zwei kleinen Kindern einsteigt, zeigt sich irritiert. Ihr Clean-Walk-Resultat auf dem Rathausmarkt bestand fast nur aus Kippen.
Zigarettenkippen überall: „Warum macht man es nicht wie an der Ostsee?“
„Warum macht man es nicht wie an der Ostsee? Da stehen überall Euro-Paletten mit Weißblechdosen, die mit Sand gefüllt sind. Die kann sich jeder Raucher nehmen, wohin er geht, und stellt sie später wieder zurück, die Kippen sind im Sand verschwunden. Kein Müll. Alles blitzeblank.“
Auf dem RS 1 findet am Samstag zeitgleich die Müllsammelaktion des ADFC Mülheim/Oberhausen statt, initiiert von Rolf Schroers-Canzler. Um zehn Uhr soll es dort losgehen, und es haben sich gegenüber vom Hauptbahnhof bereits acht Radfahrbegeisterte eingefunden, deutlich ältere Mitbürger. Nicht alle gehören zum ADFC, sind aber Radfahrbegeisterte, erzählt Rosi. Sie selbst stammt wie Herbert aus dem Rad-Netzwerk Broich, einem seit 14 Jahren existierenden Kreis von Menschen, die nach der Arbeitswelt Gleichaltrige von der Couch holen wollen. Eben mit Radfahren, zweimal die Woche und häufig über den RS 1.
Radschnellweg Mülheim: Ärger über herumliegende Hundekot-Beutel
Warum sie das tun? „Weil’s nötig ist!“, sagt Herbert resolut. „Hier liegt links und rechts so viel Müll…“ Die Räder stehen längst in den Fahrradständern, die Mülltüten der MEG werden schon eifrig befüllt. „Moin“, ruft ein vorbeirasender Radfahrer herüber „Danke euch!“, dann ist er auch schon verschwunden. Richtung Heißen soll es gehen, erläutert Schroers-Canzler. Wirklich: gehen. „Müllsammeln geht am besten mit Laufen“, sagt er und fügt verschmitzt an: „Und viel Bücken.“
Mittags haben die 15 Aktiven den Weg bis zur ersten Ausfahrt geschafft. Am meisten ärgert sich eine Frau über herumliegende Hundekot-Beutel mit Inhalt. „Da sollen die Leute die Hundescheiße lieber liegen lassen, wenn sie die schon nicht ordentlich wegschmeißen, als sie in Plastiktüten herumliegen zu lassen“, stimmt ihr Schroers-Canzler zu.
Mülheims ADFC-Aktion: Am Ende sind zwölf Müllsäcke voll
Die Bilanz ist vielfältig, Gießkanne, Eimer, Snackverpackungen, alles an Müll ist dabei und füllt zwölf Müllsäcke. „Da, wo man sitzen kann, liegen unheimlich viele Zigarettenkippen“, empört sich Schroers-Canzler. „Nur weil die Leute zu faul sind, die paar Meter zum Mülleimer zu laufen.“
Bei beiden Aktionen ist ein ungewöhnliches Maß an Freude und Zufriedenheit zu spüren. „Es macht Spaß, etwas für die Umwelt zu tun“, ist auf dem Rathausmarkt zu hören, während bei den Radfahrern schon diskutiert wird, ob man solch eine Aktion nicht wöchentlich veranstalten soll.
Deutsch-französische Städtepartnerschaft seit 60 Jahren
„Wir möchten so ein europäisches Zeichen setzen – für uns und künftige Generationen“, bekennt Letitia von der Projektgruppe.Der Video-Stream nach Tours steht pünktlich 12.10 Uhr. Ein Neid ist aus der Partnerstadt zu spüren, denn das Wetter in Mülheim ist viel besser als dort. Dafür haben die Jugendlichen der studentischen Initiative „Sistearth“ aus Tours 25 Müllsäcke gefüllt – mit deutlich weniger Teilnehmern. Die Freude über das gemeinsame Müllsammeln ist in beiden Städten spürbar. Als offizieller Vertreter der Stadt bedankte sich Bürgermeister Markus Püll bei allen Beteiligten für dieses generationenübergreifende Projekt in Sachen „Nachhaltigkeit in Frieden und Freiheit“.