Oberhausen. Egon Berchter, der Mitbegründer der Lebenshilfe in Oberhausen, verstarb im Alter von 93 Jahren. Die Stadt hat ihm viel zu verdanken.

Es gibt Menschen, die bleiben ein Stück weit für immer. Auch, wenn sie eines Tages gehen. Egon Berchter gehört dazu. Der Gründer der Lebenshilfe Oberhausen verstarb – wie jetzt bekannt wurde – am Freitag, 21. Januar 2022, im Alter von 93 Jahren. Er verabschiedete sich, wie er es sich gewünscht hatte – im Kreise seiner Familie.

Was machte ihn aus? Auf diese Frage vermag ich eine persönliche Antwort zu geben. Als junge Journalistin führte mich einer meiner ersten Termine in Oberhausen zur Karnevalsveranstaltung der Lebenshilfe. Mein damaliger Chef hatte mich mit den Worten dorthin geschickt: „Wenn du wissen willst, wie Oberhausen tickt, dann musst du dort gewesen sein!“ Etwas verloren und schüchtern stand ich in der Tür. Egon Berchter kam sofort auf mich zu, strahlte mich an, reichte mir die Hand und schon fühlte ich mich im Kreise lustig feiernder Menschen bestens aufgehoben. „Oberhausen ist warmherzig“, das war mein erster Eindruck von dieser Stadt.

Was bedeutete sein Wirken für Oberhausen? Egon Berchter wurde Vater eines Kindes mit Trisomie 21 (Down-Syndrom), als Frühförderung noch ein Fremdwort war und die Vorurteile gegenüber behinderten Menschen niedergeschrieben nicht einmal auf die Chinesische Mauer gepasst hätten. Doch statt zu verzweifeln, gründete Berchter 1963 mit vier Mitstreitern einfach die Lebenshilfe Oberhausen.

Mit drei Einrichtungen in Oberhausen fing alles an

Schnell sollte er damals auf Eltern treffen, die wollten, was er wollte: „Die beste Förderung für ihre behinderten Kinder.“ Da es genau diese aber nicht gab, baute er sie einfach mit auf: die erste Frühförderung, dann mit dem Herbert-Bruckmann-Haus die erste Wohnstätte und mit der Königshardter Werkstatt den erste Arbeitsplatz für Menschen mit Handicap in Oberhausen.

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Unter der Ära Berchter kamen in den folgenden Jahren viele weitere Einrichtungen dazu. „Inzwischen betreibt die Lebenshilfe Oberhausen 21 Einrichtungen zur Förderung und Betreuung von Menschen mit geistiger Behinderung aller Altersstufen im Stadtgebiet“, erzählt der heutige Vorsitzende Jürgen Fischer stolz. Fischer ist Berchters langjähriger Weggefährte. Rückblickend sagt er über seinen Freund: „Ich habe so unendlich viel von ihm gelernt – dazu gehört vor allem, wie man Menschen für die Lebenshilfe begeistert und wie es gelingt, sie über Jahre immer wieder ins Boot zu holen.“ Egon Berchter war ein Meister darin.

Das Egon-Berchter-Haus in Alstaden – eine Wohnstätte für Erwachsene mit geistiger Behinderung –  ist nach dem Gründer der Lebenshilfe in Oberhausen benannt worden.
Das Egon-Berchter-Haus in Alstaden – eine Wohnstätte für Erwachsene mit geistiger Behinderung – ist nach dem Gründer der Lebenshilfe in Oberhausen benannt worden. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

1966 hatte Berchter die Kreisgruppe Oberhausen des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes (DPWV) mitbegründet, die er bis 1976 als erster Vorsitzender leitete. Auch den Behindertenbeirat der Stadt Oberhausen rief er 1979 mit ins Leben. „Hier war er ebenfalls in den ersten zehn Jahren als Vorsitzender maßgeblich an der Aufbauarbeit beteiligt“, erzählt Fischer. Nachdem Egon Berchter 1991 als Prokurist der Gutehoffnungshütte (GHH) in den Ruhestand gegangen war, berief ihn der Landesverband Lebenshilfe NRW in den Landesvorstand. Für den Landesverband schließlich war er als Sprecher auch in der Bundeskammer der Lebenshilfe vertreten.

Ehrenamtliches Engagement als lebenslange Berufung

Sein ehrenamtliches Engagement wurde zu seiner lebenslangen Berufung. Sein großes Ziel war und blieb die Integration behinderter Menschen. Der Karneval gehörte für ihn unbedingt dazu – und hier zeigte sich einmal mehr, wozu er fähig war. Als Organisationstalent lief er für seine Lebenshilfe zur Hochform auf.

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Das jecke Treiben des Vereins galt in Oberhausen schnell als einer der Höhepunkte der närrischen Session. Wer in der Stadt etwas auf sich hält, kommt bis heute hier vorbei. Damit war Berchter erneut gelungen, was ihm so am Herzen lag: Teilhabe wurde ein Stück weit mehr Normalität.

„Ich lebe gern“, sagte sein Sohn Ulrich (1956-2011) später oft. Könnte es eine größere Anerkennung für Eltern geben? Unter dem gleichen Titel widmete der Vater seinem so besonderen Sohn als Dankeschön ein Buch. Das Leben mit seinen drei Kindern habe ihn erfüllt, erzählte Berchter gerne.

Träger des Bundesverdienstkreuzes

Egon Berchter war 35 Jahre lang Vorsitzender der Lebenshilfe Oberhausen, nach seinem Ausscheiden wurde er zum ersten Ehrenvorsitzenden dieser gemeinnützigen Organisation ernannt. 1973 erhielt er das Bundesverdienstkreuz am Bande, 1981 die Goldene Ehrennadel der Bundesvereinigung Lebenshilfe.1982 wurde ihm die gerade neu geschaffene Ehrennadel der Stadt Oberhausen (er war der erste Ausgezeichnete) verliehen, 1983 wurde er zum Ritter des Eulen-Ordens „Närrische Weisheit“ gekürt, 1996 erhielt er das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse, 1998 den Ehrenring der Stadt Oberhausen.2001 wurde Berchter mit dem ersten Förderpreis des Lions-Clubs Oberhausen ausgezeichnet und im gleichen Jahr ehrte ihn der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband für sein Lebenswerk. Nach dem gebürtigen Osterfelder ist das Egon-Berchter-Haus an der Hönnestraße in Oberhausen-Alstaden benannt.

Durch sein Wirken ist in Oberhausen für alle Eltern mit behinderten Kindern ein nicht mehr wegzudenkendes Auffangnetz entstanden. Seinem Einsatz ist es zu verdanken, dass die Lebenshilfe in Oberhausen heute ein Arbeitgeber von über 500 Menschen ist, der 1000 Menschen mit Handicap in ein selbstbestimmteres Leben begleitet. Danke, Egon Berchter!