Gelsenkirchen. Gelsenkirchen bereitet sich auf afghanische Flüchtlinge vor - nur wie viele? Die Grünen fordern: „Oberbürgermeisterin Welge soll Haltung zeigen“.

Die Stadt Gelsenkirchen bereitet sich auf die Aufnahme von Geflüchteten aus Afghanistan vor. Sollte das Land NRW, wie angekündigt, zeitnah 1800 Menschen aus Afghanistan aufnehmen, so würden nach Angaben der Stadt nur 24 Personen in Gelsenkirchen untergebracht werden müssen – sofern man, wie derzeit üblich, die Schutzsuchenden nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel des Flüchtlingsaufnahmegesetzes zuweisen würde.

Bereits vor Kurzem – und vor der Machtübernahme durch die Taliban - wurden Ortskräfte aus Afghanistan nach Deutschland geholt. Die Bezirksregierung Münster hat Gelsenkirchen zuletzt im Juli 2021 zwei Familien mit jeweils sechs Personen, also insgesamt 12 Personen zugewiesen. Ihre Zuweisung erfolgt nach Angaben des Rathauses auf Grundlage von Paragraf 22 des Aufenthaltsgesetzes. Demnach haben die zwölf Menschen sofort ihren Aufenthaltstitel bekommen.

Kein Asylverfahren: Afghanen sollen in Gelsenkirchen sofort anerkannt werden

„Wir gehen aktuell davon aus, dass auch die weiteren Menschen aus Afghanistan sofort ihre Anerkennung erhalten werden“, sagt Stadtsprecher Schulmann. Auch hier soll Paragraf 22 greifen. Das heißt: Die Ortskräfte und Frauen, denen das Land NRW voranging Schutz bieten will, sollen kein Asylverfahren mehr durchlaufen müssen. Sie erhalten sofort Geld vom Jobcenter, eine Wohnung – „und natürlich kümmern wir uns um Integrationsfragen“, so Schulmann. Ob der Paragraf wirklich greifen soll, könne man jedoch noch nicht mit Gewissheit sagen, man warte auf weitere Informationen vom Land.

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Sollten weitere Menschen aus Afghanistan zunächst doch in Flüchtlingsheimen untergebracht werden, so hätte die Stadt aktuell noch reichlich Kapazitäten: „Unsere Unterkünfte sind aktuell zu 45 Prozent ausgelastet“, teilt Schulmann mit. Von 644 Plätzen seien aktuell 291 belegt, sodass eine Aufnahme von Afghaninnen und Afghanen problemlos möglich sei. Die Frage ist nur: Wie viele Menschen sollten es maximal sein?

Rückblick 2020: Gelsenkirchen wird kein „sicherer Hafen“

Kommunen, die sich zu „sicheren Häfen“ erklären, sind bereit, mehr Geflüchtete aufzunehmen, als sie über den gesetzlichen Verteilschlüssel müssten. Im Zuge der Afghanistan-Krise herrschen in zahlreichen Kommunen wieder Debatten darüber, ob es wichtig wäre, sich dem „Bündnis Städte Sicherer Häfen“ anzuschließen oder zumindest ein Zeichen dafür zu setzen, Menschen in Afghanistan helfen zu wollen.

Die hiesige Grünen-Fraktion hatte bereits vor rund einem Jahr gefordert, dass Gelsenkirchen zum „sicheren Hafen“ werden soll. Anlass war die Flüchtlingssituation auf der griechischen Insel Lesbos. Über 10.000 Menschen standen damals vor einer Katastrophe, nachdem das Flüchtlingslager Moria abbrannte. Die Grünen forderten, 50 zusätzliche Aufnahmeplätze für Menschen aus Moria einzurichten, scheiterten allerdings mit ihrem Anliegen.

Grüne fordern: "OB Karin Welge muss vorangehen und Haltung zeigen“

Die SPD - damals Träger der absoluten Mehrheit - legte einen eigenen Antrag vor und knüpfte den Beitritt zum „sicheren Hafen“-Bündnis an Bedingungen: Zunächst müsse das Land die Stadt bei der Unterbringung von Flüchtlingen finanziell stärker unterstützen. Außerdem müsse die Anzahl der rumänischen und bulgarischen EU-Ausländer vollständig auf den Königsteiner Schlüssel angerechnet werden, um Gelsenkirchen integrationspolitisch nicht zu überfordern. Die Grünen kritisierten damals, die Nöte von Geflüchteten mit der Zuwanderung aus Südost-Europa „zu vermengen und so jede differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema Migration zu torpedieren.“ [Lesen Sie auch:Armutsmigration: Töns (SPD) fordert Sonderfonds fürs Revier]

Unabhängig von der damaligen Beschlusslage fordert Grünen-Fraktionschefin Adrianna Gorczyk, dass in Gelsenkirchen ein Zeichen für die Aufnahme von afghanischen Flüchtlingen gesetzt wird. „Ich erwarte, dass Oberbürgermeisterin Karin Welge vorangeht und hier Haltung zeigt.“ Dies sei in Anbetracht der großen Verzweiflung in Afghanistan und der Mitschuld der Deutschen an der dortigen Situation angebracht.

SPD: Tragik in Afghanistan darf Integrationsherausforderung nicht überschatten

Lukas Günther, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion in Gelsenkirchen, zur Aufnahme größerer Gruppen afghanischer Geflüchteter:„Es gibt Städte, die können das besser schultern, weil sie nicht die großen Aufgaben haben, die wir mit der EU-Südost-Migration haben.“
Lukas Günther, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion in Gelsenkirchen, zur Aufnahme größerer Gruppen afghanischer Geflüchteter:„Es gibt Städte, die können das besser schultern, weil sie nicht die großen Aufgaben haben, die wir mit der EU-Südost-Migration haben.“ © FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

Lukas Günther, SPD-Fraktionsvize, sagt, dass das Thema in seiner Fraktion erneut beraten werde, die SPD im Kern jedoch zu dem Beschluss von 2020 stehen würde – auch wenn Günther angibt, selbst stark emotional in der Flüchtlingskrise involviert zu sein. „Ich habe 2016 mit meinen eigenen Augen gesehen, wie sich eine Gruppe von Syrern in ihrer Ausweglosigkeit selbst in Brand gesetzt haben“, sagt der Sozialdemokrat, der damals vor Ort als Ehrenamtler in Idomeni und Kos in Griechenland aushalf. „Wenn ich die Bilder in Afghanistan sehe, wie sich junge Menschen an Flugzeuge klammern, dann erinnere ich mich sehr an diese Zeit zurück.“

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So schwer es auch falle, dürfe im Angesicht dieser Tragik dennoch nicht die Integrationsherausforderung in Gelsenkirchen ignoriert werden. „Wir wollen helfen und stehen auch bereit, Kriegsflüchtlinge aufzunehmen. Doch es gibt Städte, die können das besser schultern, weil sie nicht die großen Aufgaben haben, die wir mit der EU-Südost-Migration haben“, sagt Günther. Dieses Thema und die Aufnahme von Afghanen auf eine Ebene zu setzen, möge technisch nicht korrekt sein. „Für die Bevölkerung spielt das aber keine Rolle.“ Gelsenkirchen müsse also seine Verantwortung wahrnehmen und zugewiesene Geflüchtete aufnehmen. Darüber hinaus sei es jedoch klug, anderen Kommunen den Vortritt zu lassen.