Oberhausen. Die Grünen in Oberhausen haben ihren Bundestagskandidaten vorgestellt, obwohl er weder gewählt war, noch Deutscher ist. Welche Gründe das hat.
Er könnte der erste Geflüchtete von 2015 werden, der in den Deutschen Bundestag einzieht. Die Grünen in Oberhausen und Dinslaken haben Tareq Alaows, 31, Anfang Februar als ihren gemeinsamen Kandidaten für die Bundestagswahl vorgestellt. „Das ging durch die Decke“, kommentiert der Sprecher der Grünen in Oberhausen, Tim Dobnik, die vielen Reaktionen auf die Bekanntmachung. Doch noch gibt es zwei Haken. Alaows fehlt zum einen die deutsche Staatsbürgerschaft. Zum anderen: Formal haben die Grünen ihn noch gar nicht zum Bundestagskandidaten gewählt.
Vor sieben Jahren studierte Alaows Jura in Aleppo und Damaskus. Als der Bürgerkrieg in Syrien ausbrach, nahm er an Demonstrationen teil. Er wurde politisch verfolgt, sodass er im Juli 2015 zur Flucht gezwungen war. In Deutschland angekommen, wurde er in einer Turnhalle in Bochum untergebracht. Mittlerweile lebt er in Berlin, arbeitet als Berater für Geflüchtete.
Oberhausen: Grüne gehen davon aus, dass Alaows bis Ende März Deutscher ist
Alaows hat den Grünen in Oberhausen und Dinslaken im Oktober 2020 mitgeteilt, dass er für ihren Wahlkreis antreten möchte. Für welchen Wahlkreis ein Kandidat zur Bundestagswahl antritt, kann er frei wählen.
Auch interessant
Die Grünen in Oberhausen und Dinslaken teilen sich einen Wahlkreis. Wen sie ins Rennen um einen Sitz im Bundestag schicken, muss auf einer Mitgliederversammlung in einer gemeinsamen Wahl beschlossen werden. Bisher hat diese Mitgliederveranstaltung aber nicht stattgefunden, sondern nur ein informelles digitales Treffen der Oberhausener Grünen.
Grüne haben Kampagne früh gestartet, um guten Listenplatz für Alaows zu erkämpfen
Noch steht nicht fest, wann und wie die Grünen im Wahlkreis Alaows wählen wollen. Sie planen eine digitale Wahl mit anschließender Briefwahl. Corona verkompliziere die Planung, sagt Dobnik. Doch Alaows’ Ernennung sei „reine Formalität“. Einen Gegenkandidaten gebe es nicht.
Aber warum haben die Grünen Alaows ernannt, obwohl er formal nicht korrekt gewählt wurde? Dobnik sagt: „Wir mussten eine Kampagne starten, damit Tareq die nötige Bekanntheit bekommt.“ Im April wird die Kandidatenreihenfolge der Landesliste gewählt. Sie bestimmt, wer mit hoher Wahrscheinlichkeit in den Bundestag einzieht. „Mediale Bekanntheit ist ein wichtiger Faktor, um einen hohen Listenplatz zu ergattern“, erklärt Dobnik. Es gebe derzeit viele Parteien, die wegen Corona Schwierigkeiten hätten, ihren Kandidaten zu wählen, aber trotzdem schon einen verkünden. Das bestätigt auch ein Pressesprecher der nordrhein-westfälischen SPD.
Staatsbürgerschaft ist laut Grünen „eine Baustelle, die bald beendet ist“
Ob die Grünen darauf hoffen können, dass Alaows als Direktkandidat in den Bundestag einziehen wird, ist fraglich. Die Partei ist bundesweit im Aufwind, doch bei der vergangenen Bundestagswahl hat sie im hiesigen Wahlkreis nur 5,5 Prozent der Stimmen geholt. Damit wird klar, warum sie mit der medialen Kampagne für einen hohen Listenplatz kämpfen.
Auch interessant
Die Politikwissenschaftlerin Aimie Bouju sagt: „Die Aufstellung von Tareq Alaows ist nach dem aktuellen Forschungsstand eine Premiere.“ Ihr seien keine Fälle bekannt, in denen ein Ausländer oder eine Ausländerin bei einer Bundestagswahl aufgestellt wurden. Ungewöhnlich an der Aufstellung sei auch, dass Alaows nicht die sonst übliche Ochsentour hinter sich gebracht habe. Also die „langjährige Vorarbeit in der Partei“.
Die Frage zur Staatsbürgerschaft nennt Dobnik „eine Baustelle, die bald beendet“ sei. Um in den Bundestag gewählt werden zu können, muss man Deutscher sein. Wer nicht von deutschen Eltern abstammt, erlangt die deutsche Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung. Diese setzt voraus, dass man mindestens acht Jahre in Deutschland gelebt hat.
Ausländerbehörde soll Antrag auf Ermessenseinbürgerung bis März positiv bescheiden
Doch es gibt Ausnahmen: Bei der sogenannten Ermesseneinbürgerung genügen nur drei Jahre. In dem Fall muss die Einbürgerung allerdings unter anderem von öffentlichem Interesse sein. „Das liegt vor, wenn die Person sich zum Beispiel ehrenamtlich besonders engagiert hat, schon gut integriert ist oder auch die Kandidatur für den Bundestag“, sagt Rechtsanwältin Christina Giese, Expertin für Asylrecht in Oberhausen.
Alaows lernte in nur sechs Monaten Deutsch
Nachdem in Syrien 2011 der Bürgerkrieg ausbrach, beteiligte sich Tareq Alaows an friedlichen Demonstrationen. Für den roten Halbmond leistete er humanitäre Hilfe in Kriegsgebieten – bis er selbst vom syrischen Regime verfolgt wurde und zur Flucht gezwungen wurde. Zwei Monate dauerte sein Weg bis nach Deutschland: Mit einem Schlauchboot gelangte er über das Mittelmeer, lief dann die Balkanroute. „Ich war schockiert von den Lebensbedingungen in Deutschland“, sagt er heute. 2016 protestierte er mit etwa 30 Geflüchteten vor dem Bochumer Rathaus gegen die schleppende Bearbeitung von Asylanträgen. Nach sechs Monaten sprach er Deutsch, nach acht Monaten bekam er seine erste Anstellung.
Grundsätzlich reicht es aus, dass ein Kandidat am Tag der Bundestagswahl die deutsche Staatsbürgerschaft nachweisen kann. Doch schon am 19. Juli 2021 müssen die Grünen dem Kreiswahlleiter eine sogenannte Wählbarkeitsbescheinigung ihres Kandidaten vorlegen. Für diese ist maßgeblich, dass die Voraussetzungen für die Wählbarkeit am Wahltag „mit Sicherheit oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen werden“, wie Karina Schorn, Leiterin des Büros des Bundeswahlleiters mitteilt.
Alaows’ Rechtsanwältin hat bereits einen Antrag auf Ermessenseinbürgerung bei der örtlichen Ausländerbehörde gestellt. Tim Dobnik sagt: „Wir rechnen damit, dass dem Antrag noch im ersten Quartal, also bis Ende März, stattgegeben wird.“ Die Behörde habe den Grünen bereits mitgeteilt, dass ihr Antrag wohl positiv beschiedenen werden wird.