Gelsenkirchen. Viele bedürftige Familien rufen staatliche Förderungen nicht ab. „Scheckkarten“ für Teilhabe könnten das ändern. Doch die Stadt hält davon wenig.

Hilfsgelder für Schulessen oder Vereinssport: Mittel, die bedürftige Familien aus dem Bildungs- und Teilhabepaket beantragen können, kommen längst nicht bei allen Kindern an – weshalb Städte wie Hamm, Münster oder Oberhausen eine Art „Scheckkarte“ eingeführt haben, über die ärmere Familien all jene Leistungen abrechnen lassen können, die ihnen zustehen. Die Stadt Gelsenkirchen hält eine solche Scheckkarte jedoch für keine besonders gute Idee, wie sie nun in der Antwort auf eine Anfrage der Grünen-Fraktion deutlich macht.

Bildung und Teilhabe: Stadt Gelsenkirchen sieht Karten-System kritisch

Parallel zu der CDU, die sich bei der Stadt über die Beantragung der Hilfsgelder bei der Stadt erkundigte, weil sie geschildert bekam, dass manche Kinder aufgrund nicht beantragter Mittagessen in den Schulmensen hungern müssten (wir berichteten), fragten auch die Grünen zu dem Thema nach. Dabei wollte die Fraktion wissen, wie die Stadt zu einem Scheckkarten-System steht.

Ein solches System wird auch von Wohlfahrtsverbänden wie dem Paritätischen begrüßt. Die Idee: Bedürftige Familien bekommen die Karte (oft: „MyCard“ oder „YouCard“) zugeschickt und können über sie alle Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket – ob Mittagsverpflegung, Schulbücher oder Beiträge für den Schwimmkurs – abrechnen lassen. [Lesen Sie auch:Ausgefallene Schwimmkurse: „Eine Riesen-Gefahr droht]

Das Bildungsreferat hält so eine Karte deshalb nicht für die Lösung aller Probleme, weil sie noch nichts darüber aussagt, wie viele Kartenbesitzer die Angebote aus dem Förderpaket dann auch wirklich nutzen. „Eine tatsächliche Inanspruchnahme ist damit nicht verbunden“, betont die Verwaltung. Städte mit einer Bildungskarte wie Hamm erreichen es zwar, dass fast jeder Berechtigte die Fördermittel in Form der Karte praktisch automatisch erhält – ob sie auch verwendet werden, ist aber eine andere Frage.

Stadt Gelsenkirchen: Einführung einer Scheckkarte für Bedürftige wäre teuer

Zahl der Berechtigten

Die Zahl der Menschen, die berechtigt sind, Mittel aus dem Bildungs- und Teilhabepaket in Anspruch zu nehmen, sowie auch die Zahl der Personen, die tatsächlich Leistungen erhalten, lassen sich nach Angaben der Stadt „nicht valide“ beziffern. Intern geht das Team Bildung und Teilhabe der Stadt von rund 25.800 Berechtigten in Gelsenkirchen aus (darunter sind unter anderem rund 18.530 Hartz-IV-Empfänger und 1100 Asylbewerberleistungsberechtigte).

Auch sieht man das Kartensystem im Hans-Sachs-Haus kritisch, weil dessen Einführung „einen erheblichen Kostenaufwand – und aufseiten der Leistungsanbieter einen erheblichen Arbeitsaufwand verursacht“. Bei den Bildungskarten des Anbieters Sodexo, den viele Städte für das System angeheuert haben, müssen sich Leistungserbringer wie Vereine, die Anspruchsberechtigte als Mitglieder aufnehmen, erst auf einem Portal registrieren, bevor sie abrechnen können. Der Erfolg einer Scheckkarte hängt aus Sicht der Stadt also davon ab, wie viele der 345 unterschiedlichen Teilhabeanbieter in Gelsenkirchen bereit wären, bei so einem System mitzuspielen.

Dass die Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket immer noch von zu wenigen Hartz-IV- und Sozialhilfe-Empfängern in Anspruch genommen werden, verneint die Stadt hingegen nicht. Die verbesserungswürdige Quote sei dabei jedoch nicht, wie häufig kritisiert, auf eine umständliche Bürokratie oder versäumte Antragstellung zurückzuführen. Vielmehr sei die Quote ein Hinweis für ein insgesamt geringes Interesse an Sport und Kultur – wie sich etwa auch am Nachwuchsmangel der Sportvereine und dem Bewegungsmangel vieler Kinder erkennen ließe.

Birgit Wehrhöfer, Grünen-Stadtverordnete, lobt das „Scheckkarten“-System: „Es ist ein Vorteil, wenn Leistungsberechtigte nicht für alles einen einzelnen Antrag stellen müssen.“
Birgit Wehrhöfer, Grünen-Stadtverordnete, lobt das „Scheckkarten“-System: „Es ist ein Vorteil, wenn Leistungsberechtigte nicht für alles einen einzelnen Antrag stellen müssen.“ © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Birgit Wehrhöfer, Stadtverordnete und die Anfragestellerin der Grünen, hält die Karte dennoch weiterhin für eine gute Idee und lobt sie als „sehr niederschwelliges System“ – besonders aus Sicht der Leistungsberechtigten. „Es ist ein Vorteil, wenn sie nicht für jede Leistung einen einzelnen Antrag stellen müssen.“ Es reiche allerdings nicht, die Karte einzuführen und dann einfach so auf mehr Teilhabe zu hoffen. „Natürlich darf man nicht damit aufhören, an Schulen, Kitas und anderen Orten breit für die Möglichkeiten der Teilhabe zu werben.“

Vergünstigungen für Bedürftige: Stadt will Zugang zum GE-Pass vereinfachen

Übrigens: Eine etwas andere Karte für bedürftige Familien gibt es in Gelsenkirchen bereits: Der GE-Pass sichert einkommensschwachen Haushalten vergünstigte Preise oder kostenlosen Eintritt für Freizeit-, Sport- oder Kulturangebote – von Kursen der VHS bis zur Zoom-Erlebniswelt. Die Grünen wollten ebenfalls von der Verwaltung wissen, ob es nicht möglich sei, den GE-Pass so zu verändern, dass er die Funktion einer elektronischen Bildungs- und Teilhabekarte erfüllt. Theoretisch möglich sei dies natürlich, so die Verwaltung - aber statt den GE-Pass an sich zu verändern, arbeite man vielmehr daran, den Zugang zu ihm zu vereinfachen. [Lesen Sie auch:Ruhrtopcard: Absatz bricht massiv ein – Geld zurück für 2020]

„Gemeinsam mit dem Jobcenter und dem Caritasverband wurde ein vereinfachtes Verfahren zur Ausgabe der GE-Pässe abgestimmt“, teilt das Familien- und Bildungsreferat mit. Die Pässe würden deshalb zukünftig – um eine möglichst große Anzahl an berechtigten Personen zu erreichen – an verschiedenen wechselnden Standorten direkt vor Ort ausgegeben. Geplant ist eine Ausgabe in den Eingangsbereichen des Jobcenters, des Dienstgebäudes Vattmannstraße, des Hans-Sachs-Hauses und des Rathaus Buer. „Aufgrund der Corona-Pandemie konnte dieses Verfahren leider noch nicht gestartet werden“, heißt es.