Gelsenkirchen-Ückendorf. Der Bau der neuen Starkregentestanlage des Gelsenkirchener IKT verzögert sich um Jahre. Warum das Millionenprojekt international einzigartig ist.
Im Maßstab 1:1 werden im IKT, im Institut für Unterirdische Infrastruktur, Schachtbauwerke und Kanalbauteile geprüft und getestet. Im Versuchsaufbau lässt sich auf dem Großprüfstand beispielsweise Grundwasserdruck aufbauen oder die Belastungen durch schwere Lkw über einen Zeitraum von etlichen Jahren auf die Kanal-Infrastruktur simulieren.
Rein prüftechnisch wurde beim IKT vor nunmehr drei Jahren bereits die Zukunft eingeläutet. Das IKT realisiert in Ückendorf den weltweit größten – und damit einmaligen – zehn mal 20 Meter großen Prüfstand für Starkregen. Ein Hallenneubau soll dafür errichtet werden. Es ist die größte Investition des Instituts, seit es mit der Gründung im September vor 27 Jahren in den Neubau am Exterbruch zog. Bis 2022, so die Planung, sollte das Mammutprojekt weitgehend realisiert werden. Doch baulich hat sich in Ückendorf noch nichts bewegt.
Förderbescheid des Landes über 9,18 Millionen Euro bereits 2018 übergeben
Eine Gesamtinvestition in Höhe von elf Millionen Euro – die größte in der Geschichte des Instituts – wurde im November 2018 angekündigt. Damals überbrachte NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser im Rahmen eines kleinen Festakts persönlich einen Förderbescheid – in Summe werden aus Landesmitteln 9,18 Millionen Euro fließen. Der ursprüngliche Zeitplan ist Makulatur, das XXL-Projekt verzögere sich deutlich, man werde erst im Frühjahr 2022 an die Realisierung gehen können, räumt IKT-Geschäftsführer Roland W. Waniek ein. „Das hat auch mit der Komplexität des Verfahrens zu tun. Wir errichten eine Anlage, die weltweit einzigartig ist.“
Nun erst stehe die Ausschreibungsphase an. Waniek: „Die Planung ist abgeschlossen, die Ausschreibung geht kommenden Monat auf den Weg. Parallel dazu läuft die Modernisierung der bestehenden Großanlage.“ (Lesen Sie auch:Für Kanaltests ist das Gelsenkirchener IKT eine Top-Adresse)
Die Fördermillionen des Landes sind in die Kostenrechnung eingeflossen. Doch seit 2018 hat sich der Baumarkt dramatisch verändert. „Preise und Kapazitäten schlagen mit Sicherheit auch auf uns durch“, sagt Waniek. „Wir werden über das Thema Budget noch mal reden müssen.“
Die Kanalsysteme geraten immer häufiger an ihre Kapazitätsgrenzen
Auch die Wahrnehmung von Flutgefahren hat sich zuletzt deutlich verändert. „Dramatische Aktualität“ hätten sie natürlich nach den verheerenden Hochwassern im Ahrtal erlangt. „Aber darüber darf man nicht vergessen, dass es auch viele, viele Ereignisse darunter gibt“, warnt Waniek vor einer gewissen „Starkregen-Demenz“. Sprich: Die Systeme geraten immer häufiger an ihre Leistungsgrenzen, allerdings laufen sie buchstäblich unterhalb der öffentlichen Wahrnehmung voll. (Lesen Sie auch:Müllproblem – zähe Last fürs Gelsenkirchener Abwasser)
Neutrales Institut seit 1994
Das IKT, das Institut für unterirdische Infrastruktur in Gelsenkirchen, arbeitet seit 1994 „neutral, unabhängig und gemeinnützig“. Wissenschaftlich angedockt ist das IKT an die Ruhr-Universität Bochum und die Westfälische Hochschule Gelsenkirchen.Praxisnahe Forschung, Beratung, Gutachten, Weiterbildung oder auch Warentests zählen zur Kernkompetenz. Erprobt werden beispielsweise Verbesserungen der Abwasseraufnahme durch die Kanalnetze oder die Dichtigkeit der Rohrnetze.Rund 50 Mitarbeiter inklusive studentischer Hilfskräfte bieten bundesweit und international Produktprüfungen sowie Schulungen für das Personal von Netzbetreibern an. Die Forschungsarbeit läuft weitgehend projektfinanziert durch das Land (80 Prozent) und durch Kommunen. Das IKT verleiht seit 2002 den Goldenen Kanaldeckel für vorbildliche Branchenlösungen.
Der neue Prüfstand soll künftig helfen, Überflutungen durch lokale Starkregen abzumildern und nicht zuletzt auch hohe Schäden an privaten und öffentlichen Gebäuden verhindern. Die vorhandenen Kanalisationen seien für diese Wassermassen „aus berechtigten Gründen nicht ausgelegt. Daher müssen neue Ansätze her, neue Techniken und neue stadtplanerische Konzepte“, so der IKT-Geschäftsführer bei der Projektpräsentation.
Gelsenkirchen wird international zum Kompetenzzentrum Starkregen
Auf dem neuen Prüfstand soll ebenfalls im Maßstab 1:1 realitätsnah simuliert werden, wie Regenwasser auf Straßen, in Wohn- und Gewerbegebieten abfließt. Straßenabschnitte sollen dafür (mit bis zu zehn Prozent Gefälle) nachgebildet werden können, inklusive aller dazu gehörigen Einbauten wie Bordsteine, Rinnen, Gullys, Abwasserschächte und -leitungen sowie Regenwasserrückhalte-Systemen. Die Anlage kann Starkregenmassen von 1000 Liter pro Sekunde und Hektar ausgesetzt werden. Ausreichend, so Waniek, um „ein Bundesliga-Spielfeld in einer guten viertel Stunde knöcheltief unter Wasser zu setzen“.
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Für Kanalnetze von morgen brauche es „neue Ansätze, neue Techniken und neue stadtplanerische Konzepte“, steht für Waniek fest. Das IKT ist (als einziges deutsches Institut) eingebunden in ein Netzwerk aus sieben internationalen Forschungseinrichtungen in Großbritannien, Spanien, Frankreich und den Niederlanden. „Wir machen Gelsenkirchen zum Forschungs- und Kompetenzzentrum Starkregen“, betont Waniek. Dazu gehört auch, Ergebnisse künftig in Echtzeit teilen zu können. Die neue IKT-Prüfanlage wird Messdaten und Videobilder der Versuche an Wissenschaftler weltweit liefern. Die können dann beobachten, analysieren und kommentieren, wenn in Gelsenkirchen Kanäle geflutet werden.
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