Gelsenkirchen. Kinder aus bildungsfernen Familien haben es im Distanzunterricht schwerer. Drei Gelsenkirchener Lehrer berichten von den größten Problemen.
Homeschooling, da sind sich wohl alle einig, ist für Lehrer wie Schüler eine Herausforderung. Was aber ist mit jenen Kindern, die es aufgrund ihrer sozialen Herkunft schon im Präsenzunterricht häufig genug schwer haben? Lehrer der Gesamtschule Ückendorf, die viele Kinder mit Migrationsgeschichte besuchen, berichten: Sie stoßen manchmal an ihre Grenzen.
Johannes Bellebaum ist Lehrer für Deutsch und katholische Religion. Er unterricht in sogenannten „IFö-Klassen“ mit Schülern, die erst seit kurzem in Deutschland leben und noch die deutsche Sprache lernen. Ob er im Distanzunterricht immer alle Schüler erreichen kann? „Die Frage ist“, entgegnet Bellebaum, „wie man ‘erreichen’ definiert.“
„Es reicht nicht, einfach die Hardware auszugeben“
Zumindest in technischer Hinsicht sei man inzwischen vorangekommen, sagt Schulleiter Achim Elvert: „Nicht zuletzt haben wir inzwischen etwa 300 iPads ausleihen können. Damit reduzieren sich die technischen Probleme auf ein bis zwei Haushalte pro Klasse, in denen zum Beispiel kein Internetzugang zur Verfügung steht und somit auch das iPad nicht einsetzbar ist.“ Doch dafür tauchten an anderer Stelle Probleme auf.
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Bellebaum betont: „Es reicht nicht, einfach die Hardware auszugeben.“ Denn die Geräte müssten eben auch eingerichtet und gewartet werden, brauchten regelmäßig Updates – und seien für viele Schüler und ihre Eltern nicht selbsterklärend nutzbar: „Digitalisierung heißt auch: Schüler und Eltern weiterbilden“, sagt Bellebaum. „Ich muss zum Beispiel bestimmt mindestens zehnmal pro Woche Passwörter zurücksetzen, weil die Schüler damit Probleme haben.“
Leidtragende sind Schüler aus bildungsfernen Familien
Dass Technik nicht das Allheilmittel ist, kann auch Felicitas Fischer bestätigen. Sie unterrichtet Englisch und hat die Leitung einer fünften Klasse inne: „Dass sie ein iPad haben, hat nicht unbedingt zur Folge, dass die Kinder erreichbar sind. So ein Gerät muss man ja beispielsweise auch aufladen.“ Wenn zu Hause niemand darauf achte, klappe das bei den jüngeren Schülern oftmals nicht.
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Die Leidtragenden der Gesamtsituation: vor allem Kinder aus bildungsfernen Familien. „Das Homeschooling verschärft die Bildungsungerechtigkeit“, meint Bellebaum. Denn Eltern aus einem sozial schwächeren Umfeld könnten die Schwierigkeiten ihrer Kinder gleich in dreierlei Hinsicht schwerer kompensieren. Zunächst fehle es an technischem Wissen, um beim Distanzlernen zu helfen.
Sprachbarriere verhindert, dass Eltern Kindern besser helfen können
Auch die Sprachbarriere spiele eine Rolle. „Häufig würde es schon helfen, wenn Eltern die Aufgabe verstehen und ihren Kindern erklären würden, auch wenn sie sie vielleicht inhaltlich nicht selbst lösen können“, weiß Bellebaum. Um hier Abhilfe zu leisten, kommen regelmäßig etwa Rumänisch- oder Arabisch-Übersetzer in die Schule. Letztlich könnten Eltern mit einem Akademiker-Hintergrund aber eben auch inhaltlich besser bei der Bewältigung der Aufgaben helfen.
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Ein weiteres Problem: Wenn Kinder auf engem Raum mit vielen Geschwistern zusammenlebten, dann könnten sie sich häufig kaum auf den Unterricht konzentrieren, beschreibt Felicitas Fischer: „Ich gestalte den Englisch-Unterricht gerne interaktiv. Manchmal trauen sich die Schüler aber nicht zu sprechen, wenn ihnen dabei mehrere Familienmitglieder zuhören.“
Schulleiter Elvert berichtet ebenfalls: „Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass in meinem Online-Unterricht immer mindestens zwei bis drei Schüler dabei sind, die zeitgleich jüngere Geschwister beaufsichtigen, die man dann während der Videokonferenz manchmal im Hintergrund hört.“
Nicht alle Eltern sorgen dafür, dass Kinder um 8 Uhr vorm Bildschirm sitzen
„Wir versuchen vieles, um Kinder aus bildungsfernen Familien zu unterstützen“, sagt Bellebaum. „Zum Beispiel machen wir Hausbesuche, den Kindern ohne Internetzugang schicken wir Unterlagen per Post. Außerdem haben einige unserer Schüler Erklärvideos produziert und auf unserem Youtube-Kanal hochgeladen.“ Doch an einigen Stellen erreiche man die Grenzen des Möglichen.
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Was also tun, wenn ein Schüler plötzlich einfach in der Videokonferenz fehlt? Zuerst einmal, so Bellebaum und Fischer: die Eltern anrufen. „Es passiert aber nicht selten, dass die Eltern nicht ans Telefon gehen, weil sie entweder arbeiten oder selbst noch schlafen“, berichtet Fischer. Dass die Kinder auch zu Hause jeden Tag ab 8 Uhr vor dem Laptop sitzen müssen, um am digitalen Unterricht teilzunehmen, sei noch nicht zu allen durchgedrungen.
Betreuung und Erziehung der Schüler ist nicht mehr in gewohntem Maße möglich
So komme es vor, dass viele Kinder nur sporadisch online seien. „Dann schreibt man sie an, sie antworten einmal und dann gehen sie wieder offline“, erzählt Fischer. „Wir haben Briefe in verschiedenen Sprachen verschickt, in denen wir die Eltern gebeten haben: ‘Schauen Sie, dass ihr Kind um 8 Uhr im Online-Unterricht sitzt’. Außerdem haben wir sie darauf hingewiesen, dass es bei Problemen die Möglichkeit gibt, zur Notbetreuung in die Schule zu kommen.“ Dabei sei es allein schon viel wert, wenn Eltern ihren Kindern klarmachten: „Schule ist wichtig.“
Schulleiter Elvert bestätigt, dass einige Schüler mittlerweile nicht mehr regelmäßig am Schulbetrieb teilnehmen: „Es fällt online deutlich leichter, auch mal einzelne Stunden ausfallen zu lassen und die unmittelbare Ansprache der Lehrkräfte ist eben auch nicht da.“ Der Anteil dieser Schüler schwanke stark in Abhängigkeit von der Jahrgangsstufe. „Besonders stark ausgeprägt ist dieses Verhalten im Jahrgang 9, wo sich teilweise ein Drittel des Jahrgangs den schulischen Aufgaben zumindest teilweise entzieht“, so Elvert.
Was darüber hinaus momentan ganz wegfällt: Alles, was nicht primär in den Bereich des Lernens, sondern in den der Betreuung und Erziehung gehört. „Ansprechen, loben, Probleme sehen – das ist besonders bei Kindern aus sozial schwächeren Familien enorm wichtig. Das kann ich aber im Distanzunterricht nicht wie gewohnt leisten“, sagt Bellebaum.
Einige Eltern zeigen auch sehr hohes Engagement
Trotz aller Schwierigkeiten betonen die Lehrer, dass die Schüler insgesamt Fortschritte gemacht hätten, einige im Unterricht auch sehr gut mitkämen. Zudem gebe es viele Eltern, die von einem niedrigen Bildungslevel kommend ein sehr hohes Engagement zeigten, um ihre Kinder zu unterstützen. Aber: „Die Kinder, die zu Hause sehr engagiert sind, sind meist die, die auch im Präsenzunterricht aktiv mitmachen“, erklärt Fischer. Bei all jenen, die schon im Klassenzimmer schwer erreichbar seien, werde es schwierig.
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