Mülheim. Eine Ausstellung in Mülheim-Heißen zeigt die Veränderungen über die Jahrzehnte im Stadtteil. Alteingesessene erinnern sich an frühere Zeiten.
Wie sah Heißen früher aus? Und wie hat der Stadtteil sich verändert über die Jahrzehnte? Diese Frage beantwortet die sehenswerte Foto- und Postkartenausstellung „Heißen – damals und heute“, die jetzt im Heißener Nachbarschaftshaus an der Hingbergstraße 311 eröffnet worden ist. Alte und junge Bürger des östlichen Mülheimer Stadtteils haben sie mit Unterstützung des Stadtarchivars Jens Roepstorff zusammengestellt. Schon bei der Vernissage kamen die Generationen der Alteingesessenen und der Neuzugezogenen über ihren Stadtteil ins Gespräch.
Svenja Ester, Heißenerin des Jahrgangs 1977, bringt das Gespräch über den Stadtteil zwischen Gracht und Mühlenfeld, Honigsberg und Hingberg, Marktplatz und Rhein-Ruhr-Zentrum, Hardenbergstraße, Humboldthain und Heimaterde mit einem Text des Heißener Heimatforschers Heinz Hohensee (1940-2017) in Gang. Da hört man oder erinnert sich zum Beispiel an das alte Kino im Bürgerhaus an der Kruppstraße, wo „Grün ist die Heide“ in den 1950er Jahren für 70 Pfennig pro Karte zum Kassenschlager wurde. Oder man wird etwa an die meisterlichen Ambitionen des RSV-Heißen erinnert, der in den späten 1940er Jahre Tausende von Feldhandballfans in den damals noch vom Bergbau geprägten Stadtteil lockte und deshalb die Sondereinsatzwagen der Mülheimer Straßenbahn Schlange stehen ließ.
Mülheim-Heißen nach dem Krieg: Als Kartoffeln vom Feld des Bauerns gestohlen wurden
Anregenden Gesprächsstoff liefern auch die von Ralf Bienko interviewten Zeitzeugen Anneliese Beermann (Jahrgang 1930), Annegret Gensinger (Jahrgang 1947) und Rolf Mühlenfeld (Jahrgang 1950). Anneliese Beermann berichtet unter anderem über die harten Hungerjahre nach dem Krieg, als ihre sieben Geschwister und sie überall für dieses und jenes anstehen mussten, dass es damals nur gegen Lebenmittelbezugsscheine gab. Kartoffeln klaute man bei Bedarf auch vom Feld des nächstbesten Bauern. Und der Vater, der als Maurer auf der Zeche Rosenblumendelle den Lebensunterhalt seiner Familie verdiente, sorgte mit seinem Kohlendeputat dafür, dass daheim der Ofen nicht ausging.
Ein Stück Gesellschaftsgeschichte kann die Elektromeisterin Annegret Gensinger erzählen, die erst das Schneiderhandwerk erlernte und dann umschulte, um damals als einzige Meisterin ihres Jahrgangs den Elektrobetrieb ihres Vaters zu führen. Ihre bis zu 15 Mitarbeiter hätten mit ihrer Chefin, die aus Prinzip ihre Leiter selbst zum Arbeitseinsatz trug, kein Problem gehabt. Doch einige ihrer Kunden hätten anfangs gefragt: „Fräulein, können Sie das denn auch?“
Heißener Nachbarschaftshaus als Treffpunkt im Stadtteil
Als langjähriger Vorsitzender des Turnerbunds Heißen schildert Rolf Mühlenfeld, die sportlichen Rivalitäten und späteren Fusionsversuche mit dem RSV, dessen Sportplatz in den Hungerjahren nach dem Krieg auch als Acker genutzt worden sei. Der 1939 geborene Friedrich Ostwald, schaltet sich aus dem Auditorium in das Zeitzeugeninterview ein, in dem er über Schulspeisungen auf Rezept und über Hamsterfahrten ins Münsterland berichtet.
„Schön wie dieser Raum mit Engagement gefüllt und die Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart geschlagen wird“, betont der ebenfalls zur Vernissage erschienene Sozialdezernent a.D., Ulrich Ernst. Er gehörte vor einem Jahr neben der Mülheimer Wohnungsbaugenossenschaft, deren Verein Mülheimer Nachbarschaft und dem Pflegedienst Behmenburg zu den Initiatoren des Heißener Nachbarschaftshauses, in dem sich seit seiner Eröffnung im September 2019 insgesamt rund 6000 Nachbarn bei unterschiedlichsten Veranstaltungen begegnet sind.
Neu-Heißener: „Viel bewusster durch die Straßen gehen“
„Der Vergleich der alten und neuen Stadtteilansichten zeigt unter anderem, wie viele Felder und Äcker es früher in Heißen gab, auf denen heute Häuser stehen“, stellen der 1943 geborene Klaus Kocks und seine ein Jahr jüngere Frau Gisela beim Ausstellungsrundgang fest.
Und auch der 1979 geborene Neu-Heißener Dennis Wolter lobt die Ausstellung, die aus dem im Nachbarschaftshaus herausgebildeten Nachbarschaftsnetzwerk hervorgegangen ist: „Ich finde es spannend, auf diesem Weg zu erfahren, wie sich Heißen verändert hat. So weiß ich viel mehr über die Geschichte des Stadtteils, in den ich vor einem Jahr gezogen bin und kann deshalb auch viel bewusster und mit einem ganz anderen Blick durch die Straßen gehen.“