Oberhausen. Ein Zechen-Gelände in Oberhausen sollte zum „Lebenspark“ mit schicken Wohnungen gestaltet werden. Doch das Projekt entwickelt sich zum Desaster.

Familie Hartmann hatte es sich so schön vorgestellt. Dieses Weihnachtsfest hätte sie eigentlich in den eigenen vier Wänden gefeiert. Matthias Hartmann und seine Frau wären dieser Tage vielleicht damit beschäftigt, einen gemütlichen Silvester-Abend vorzubereiten, ihr fünfjähriger Sohn würde draußen mit den Nachbarskindern spielen. Doch ihr Traum von der schicken Eigentumswohnung mit Industrie-Flair entwickelt sich für die Familie zum Albtraum. Das Essener Paar hat eine Wohnung in der ehemaligen Bergmanns-Waschkaue am Schacht IV in Klosterhardt gekauft. Doch die Sanierung der historischen Gemäuer zieht sich quälend lange hin.

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Rückblick: Bereits 2014 präsentierte die Stadt die Pläne für einen „Lebenspark“: Auf dem Gelände der ehemaligen Osterfelder Zeche am Schacht IV sollte ein neues Wohnquartier entstehen – mit Einfamilienhäusern, Wohnungen in der alten Waschkaue, einem Seniorenheim und einem sanierten, unter Denkmalschutz stehenden Förderturm, der Arztpraxen und Büros beherbergen sollte. 2013 hatte die Stadt den entsprechenden städtebaulichen Vertrag mit dem Projektentwickler KLG GmbH geschlossen. Verkauft hatte sie das rund 6000 Quadratmeter große Gelände bereits 2011 an den Investor. Architekt und Oberhausens CDU-Chef Wilhelm Hausmann hatte das Konzept damals mitentwickelt, es sollte Prestige-Projekt und Aushängeschild für die Stadt werden.

Seniorenheim am Schacht IV kann Betrieb nicht aufnehmen

Doch 2016 wurden erste Probleme publik: Der Bau der Eigenheime verzögerte sich, Käuferinnen und Käufer machten ihrem Ärger auf den Projektentwickler öffentlich Luft. Die Eigenheime stehen zwar mittlerweile, Familien sind eingezogen. Und auch das Seniorenheim scheint fertig, doch in Betrieb gehen kann es wegen der mangelnden Erschließung nicht. Die Straße ist teils nicht ordentlich befestigt, Parkplätze sind nicht angelegt. Die alte Waschkaue ist nicht saniert, der Bau steht zum Teil offen, Feuchtigkeit dringt ein, Tauben flattern durch die Räume. Auch am alten Förderturm sind die Arbeiten längst nicht abgeschlossen. Die Baustelle scheint verwaist.

Das Seniorenheim am Schacht IV sieht von außen fertiggestellt aus, doch in Betrieb gehen kann es noch nicht. Wahrscheinlicher Grund ist die mangelnde Erschließung.
Das Seniorenheim am Schacht IV sieht von außen fertiggestellt aus, doch in Betrieb gehen kann es noch nicht. Wahrscheinlicher Grund ist die mangelnde Erschließung. © FUNKE/Fotoservices | Gerd Wallhorn

„Hier wird schon seit Monaten nicht mehr gearbeitet“, erzählt Matthias Hartmann. 2019 haben er und seine Frau den Kaufvertrag für die knapp 140 Quadratmeter große Wohnung samt Platz in der Tiefgarage unterschrieben. Der zugesagte Bezugstermin wurde mehrfach nach hinten verschoben. Schlimmer als die Enttäuschung sei der wirtschaftliche Schaden: Die Hälfte des Kaufpreises von rund 416.000 Euro haben die Hartmanns bereits bezahlt. Für die restliche Kreditsumme zahlen sie derzeit Bereitstellungszinsen in Höhe von 700 Euro – jeden Monat. Diese Kosten verlangt die Bank, da dem Paar der Kredit zwar bewilligt wurde, es die Summe nun aber nicht abruft. Zudem habe die Bank KfW einen Förderkredit zurückverlangt, und die Miete für ihre Wohnung in Essen-Borbeck müssen sie auch noch stemmen. „Wir laufen wirtschaftlich auf dem Zahnfleisch“, sagt Matthias Hartmann.

Ehepaar lebt auf dem Dachboden statt in der neuen Wohnung

Und die Familie des 37-Jährigen steht mit ihrem Schicksal nicht alleine da: Insgesamt 16 Käuferinnen und Käufer hängen derzeit in den Seilen, können nicht vor und nicht zurück. Wie das Ehepaar Bürger zum Beispiel. Karin und Uwe Bürger haben ihre Wohnung bereits im Dezember 2017 gekauft. „Wir wollten in eine seniorengerechte Wohnung ziehen, damit die Familie unseres Sohnes in unser Häuschen ganz in der Nähe ziehen kann“, erzählt Uwe Bürger. Doch statt in trauter Nachbarschaft lebt die komplette Familie nun unter einem Dach, denn Sohn Arne und Schwiegertochter Stefanie haben 2018 ihre Wohnung in Bottrop-Kirchhellen gekündigt, um 2019 nach Oberhausen zu ziehen. Seit anderthalb Jahren macht Töchterchen Romy die Familie komplett. „Der Platz wird eng, ich lebe mit meiner Frau auf dem Dachboden“, sagt Uwe Bürger.

Auch der alte Förderturm der Zechenanlage sollte längst saniert sein.
Auch der alte Förderturm der Zechenanlage sollte längst saniert sein. © FUNKE/Fotoservices | Gerd Wallhorn

Stellvertretend für alle Käuferinnen und Käufer schildert er das Dilemma, aus dem er nicht herauskommt: Auch er zahlt Bereitstellungszinsen für den 310.000-Euro-Kredit. Seinen Darlehensvertrag kann er aber nur kündigen, wenn der Kaufvertrag für die Wohnung aufgelöst wird. „Aber bei der KLG erreicht man ja niemanden mehr, weder per Telefon noch per E-Mail“, beschwert er sich. Gleiches gilt für die Grunderwerbssteuer: Diese, so habe man ihm bei der Stadt erklärt, könne nur erstattet werden, wenn der Kaufvertrag nachweislich aufgelöst wird. „Und dann auch nur rückwirkend für drei Jahre.“ Über einen Anwalt habe er Klage beim Landgericht eingereicht, wegen Überlastung bekomme er aber keinen Termin. „Uns fehlt jegliche Handhabe, wir stehen mit dem Rücken zur Wand.“

„Die Machtlosigkeit ist das Schlimmste“, sagt Matthias Hartmann. „Wenn wir wenigstens die Info bekommen könnten, ob das hier überhaupt noch was wird, wäre uns schon ein bisschen geholfen.“ Doch eine eindeutige Antwort auf diese Frage gibt der Bauträger, die KLG Projektentwicklungs GmbH, nicht. Auf Nachfrage unserer Redaktion heißt es lediglich: „Eine definierte Aussage bzw. aktuelle Informationen können wir Ihnen erst Ende des ersten Quartals 2022 mitteilen. Derzeit laufen noch notwendige Verhandlungen, die eine Umsetzung bzw. Fertigstellung in 2022 sicherstellen.“

Ortstermin zwischen Stadt und Bauleiter führte zu nichts

„Kann denn die Stadt überhaupt nichts tun?“, fragen die frustrierten Käuferinnen und Käufer der Wohnungen am Schacht IV. „Immerhin ist das hier ja eine Zumutung auch für alle anderen Nachbarn, nicht nur für uns“, sagt Käuferin Tatjana Schwaller stellvertretend. „Die Stadt gibt hier kein gutes Bild ab.“

Tatsächlich hatte sich Matthias Hartmann in seiner Not auch an Oberbürgermeister Daniel Schranz gewandt. Die schriftliche Antwort kam wenige Tage vor Weihnachten vom derzeit zuständigen Dezernenten Frank Motschull. Der könne den Ärger der Käufer sehr gut nachvollziehen, heißt es darin. Die Fertigstellung der Wohnungen und auch des Förderturms „ist leider aktuell nicht absehbar, obwohl die im städtebaulichen Vertrag vereinbarte Frist auf Wunsch der KLG bereits dreimal verlängert wurde, zuletzt bis zum 31.12.2021“.

Auch die Arbeiten am denkmalgeschützten Förderturm sind längst nicht abgeschlossen.
Auch die Arbeiten am denkmalgeschützten Förderturm sind längst nicht abgeschlossen. © FUNKE/Fotoservices | Gerd Wallhorn

Mehrmals habe die Stadt versucht, die Bauarbeiten zu beschleunigen. Unter anderem habe die Stadt zu einem Ortstermin mit den Bauleitern geladen, „die Geschäftsführung der KLG blieb dem Gespräch leider unentschuldigt fern“. Der Projektentwickler habe Finanzierungsschwierigkeiten als Hauptgrund für die verzögerten Arbeiten genannt. Eine mögliche Insolvenz, die auch die Käuferinnen und Käufer vermuten, habe das Unternehmen abgestritten.

„Indirekt wurde jedoch angedeutet, dass die Fertigstellung der Waschkaue und des Förderturms unter Umständen durch einen anderen Investor erfolgen könnte“, erklärt Motschull in dem Schreiben weiter. Es ist wohl die letzte Hoffnung der Käufer, denn sollte die KLG nicht zu Ende bauen, bliebe am Ende nur der Klageweg. Rechtsexperte Motschull: „Sollte sich Ihre Befürchtung einer Insolvenz der KLG bestätigen, ist die Forderung nach Instandsetzung der Denkmäler wohl nicht durchsetzbar.“