Mülheim. Am ersten Impftag in Mülheim ist ein Mitglied der Stadtspitze geimpft worden. Viele Bürger empören sich darüber. Eine Erklärung, wie es dazu kam.
Als am 27. Dezember die Bewohner und Mitarbeitenden der ersten beiden Seniorenheime in Mülheim gegen das Coronavirus geimpft worden sind, hat auch ein Mitglied der Stadtspitze eine Spritze bekommen. Wir haben diese Impfung am Rande der Berichterstattung über den Impfstart in Mülheim erwähnt. Weil sich seitdem und vor allem in den vergangenen Wochen sehr viele Leser bei uns und auch viele Bürger bei der Stadt gemeldet haben, greifen wir das Thema nun noch einmal auf und erklären, wie es zu dieser Impfung gekommen ist – und warum wir nicht größer darüber berichtet haben.
180 Impfdosen sollten an dem Sonntag nach Weihnachten gespritzt werden, an Bewohner und Mitarbeitende der Senioreneinrichtungen St. Christopherus und Hildegardishaus. 27 Impfdosen aber blieben übrig. Zum einen, weil manche Mitarbeitende sich doch nicht immunisieren ließen – zum Beispiel aufgrund von Krankheit oder weil sie sich umentschieden. Zum anderen, weil der leitende Impfarzt, Stephan von Lackum, bereits damals nicht fünf, sondern sechs Dosen aus einer Ampulle ziehen ließ.
Leitender Impfarzt in Mülheim: „Ich musste die Impfungen loswerden“
„Diese Impfungen musste ich loswerden“, sagt Stephan von Lackum. „Ich wollte sie ja nicht wegschmeißen.“ Geöffnete Impfampullen halten sich lediglich sechs Stunden. Er habe zunächst den Ärztlichen Direktor des Evangelischen Krankenhauses angerufen, allerdings nicht erreicht. Er habe mit anderem medizinischen Personal gesprochen, versucht, sie kurzfristig zu einer Impfung zu bewegen. Und schließlich sei er auch bei einem Mitglied der Stadtspitze gelandet.
„Der arme Mann kann nichts dafür“, sagt von Lackum heute. Er habe ihn gebeten zu kommen und sich impfen zu lassen, denn „ich wollte die Impfdosen akzeptabel an den Mann bringen“. Sein Vorgehen habe nichts mit dem in manch anderer Kommune zu tun, wo sich Stadtspitzen „einfach reingesetzt und gesagt haben: Ich bin jetzt dran.“
„Der erste Impftag war improvisiert. Jetzt ist es geordnet“
Stephan von Lackum sagt, er nehme das „auf seine Kappe“. Auch, dass er bereits am ersten Impftag sechs statt fünf Impfdosen aus den Ampullen gezogen hat. Kurz darauf hatte Biontech/Pfizer bestätigt, dass die Menge in einem Fläschchen für sechs Rationen ausreiche.
Wie man mit übrig gebliebenen Impfdosen umgehe, darüber war vor dem ersten Impftag noch nicht gesprochen worden. „Der erste Impftag war improvisiert“, sagt von Lackum. „Jetzt ist es geordnet.“
Mülheimer Krisenstab hat „B-Liste“ ins Leben gerufen
Bereits am nächsten Tag habe man sich darauf verständigt, eine „B-Liste“ anlegen zu lassen. Dafür sind Krankenhäuser, Pflege-, Rettungs- und Palliativdienste angeschrieben worden. Sie sollten Personal benennen, das zwar zur ersten Impfgruppe gehört, aber noch nicht an der Reihe war. Betroffene Personen haben so die Möglichkeit, dank übrig gebliebener Impfdosen vorzurücken.
Diese Liste wird auch im Impfzentrum genutzt. Sie werde amtlich geführt und regelmäßig aktualisiert, so Stephan von Lackum. Seit dem ersten Impftag ist nach seinen und den Angaben der Stadt kein weiteres Mitglied der Stadtspitze oder des Krisenstabes geimpft worden, das nicht zur Impfgruppe 1 gehört. Wir nennen den Namen des geimpften Mitglieds der Stadtspitze auf dessen Wunsch weiterhin nicht. Er ist nicht verpflichtet, seine Impfung öffentlich zu machen.