Gelsenkirchen-Buer. Faible für ausgefallene Accessoires: Warum die Hagenstraße in Gelsenkirchen-Buer mit dem Aus des Geschäfts ein bisschen grauer wird.

Er gehört zur Hagenstraße wie die benachbarte Galerie Werkstatt, die Crêperie und das Lokal ohne Namen: Egons Laden hat für viele Bueraner Kultstatus. Fans seiner ausgefallenen Wohnaccessoires und des Jonglage-Zubehörs müssen im 50. Jahr seines Bestehens allerdings Abschied nehmen – das Geschäft schließt in diesen Tagen. Und viele sind überzeugt: Die Hagenstraße wird ein bisschen grauer.

„Es ist jetzt einfach Zeit, ich bin ja 77“: „In beiderseitigem Einvernehmen“ mit dem Vermieter gibt Egon Gwiasda bis spätestens Mitte April seinen Laden auf, mit dem er seit der Eröffnung 1972 an der Hagenstraße 40 innerhalb weniger Hundert Meter mehrfach umgezogen ist. Was trotz Sortiments-Anpassungen blieb, war seine Leidenschaft für ungewöhnliche Artikel aus den Bereichen Kunstgewerbe, Möbel, (indischer) Mode, Schmuck, Glas und Keramik. Aschenbecher in Form eines Totenkopfes etwa, Tischlampen mit dem Konterfei einer prallbusigen Dame oder Figuren aus der Fantasywelt.

Egons Laden in Gelsenkirchen bot auch Theaterbedarf-Artikel für den großen Auftritt

Mit diesem Flyer bewarb Egon Gwiasda 1972 die Eröffnung seines Geschäfts „Egons Laden“. Seither ist er innerhalb der City von Gelsenkirchen-Buer mehrfach umgezogen. An seinem jetzigen Standort Hagenstraße residiert er seit Jahrzehnten.
Mit diesem Flyer bewarb Egon Gwiasda 1972 die Eröffnung seines Geschäfts „Egons Laden“. Seither ist er innerhalb der City von Gelsenkirchen-Buer mehrfach umgezogen. An seinem jetzigen Standort Hagenstraße residiert er seit Jahrzehnten. © FUNKE Foto Services | Joachim Kleine-Büning

Auch in Sachen Theaterbedarf hatte Gwiasda viel zu bieten: Jonglierkeulen oder -bälle etwa oder Kleidung für den großen Auftritt in Manege oder auf der Bühne. Kein Wunder, war und ist er doch seit seinem 50. Lebensjahr begeisterter Akrobat und Stelzenläufer („ich schaff auf Stelzen 15 Kilometer!“) und auf Jahrmärkten und Festivals im In- und Ausland zu Hause. Auch zahlreiche Kinder hat er für dieses Hobby begeistert.

Lebensmittelpunkt des unkonventionellen Freigeists blieb freilich immer Egons Laden, in dem er immer neue Jugendtrends aufgriff – von der Hippie- über die Punk- bis hin zur Grufti-Bewegung. Er selbst, nein, er sei kein Hippie gewesen, erst recht kein Revolutionär, betont er. „Ich war immer Rock’n Roller, mehr so wie Mick Jagger. Ansonsten bin ich sanftmütig wie eine Kokosnuss.“

Gelsenkirchener Inhaber Gwiasda: „Das war eine irre Zeit“

Nackenlange schwarze Haare, buschiger Schnäuzer, verwegener Blick aus dunklen Augen: Gwiasdas Foto auf dem Eröffnungsflyer 1972 weist ihn zumindest als modebewusst aus in seinem hellen Hemd mit den breiten Längsstreifen. „Damals war die Hagenstraße noch ein Schlafwagen-Abteil. Das hat sich dann geändert“, erzählt er grinsend.

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Als Anfang der 1980er-Jahre zig Punker mit grellbunt gefärbten Haaren auf ihren Mofas die Hagenstraße in ein Blumenmeer zu verwandeln schienen – „und ich war mittendrin“: Daran denkt der Bueraner mit einem Lächeln zurück. „Das war eine irre Zeit!“

Kinder kauften zu Hunderten Tamagotchis in Egons Laden in Gelsenkirchen-Buer

Auch als alle paar Jahre ein neuer Mega-Trend in Sachen Spielzeug die Regale flutete, erinnert er sich gut. „Es gab Zeiten, da kamen Kinder zu Hunderten aus allen Stadtteilen und sogar aus Polsum, um bei mir Tamagotchis zu kaufen. Heute sind daraus seriös wirkende Männer mit Bärten geworden.“

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Die Nachbarschaft von Galerie und Crêperie habe allen immer gut getan. „Da besuchten kulturell Interessierte erst die Werkstatt und kauften dann bei mir Kunstgewerbe-Artikel, das war schon gut.“ In den vergangenen Jahren aber, zumal in der Corona-Pandemie, habe sich mit dem Geschäfte-Sterben vieles in Buer geändert. Nicht zum Guten, findet er. „Aber vielleicht kriegt Buer ja noch mal die Kurve.“

Gelsenkirchener Kundschaft bedauert Aus, doch Inhaber ist mit 77 offen für Neues

Dass es ihm schwer fallen wird, sein Geschäft aufzugeben, das ihm fünf Jahrzehnte lang auch Lebensmittelpunkt war, es ist offensichtlich. „Es wird komisch sein, nichts mehr zu tun zu haben. Viele Kunden sagen auch, dass die Hagenstraße an Farbe verlieren wird, wenn ich schließe.“ Immerhin bleibt der 77-Jährige Buers Stadtbild erhalten, denn in der Fußgängerzone will er weiter wohnen bleiben.

Galerie Werkstatt soll Hagenstraße erhalten bleiben

Die Galerie werkstatt soll der Hagenstraße erhalten bleiben, nachdem es 2019 Ärger um eine Mieterhöhung gegeben hatte, die die finanziellen Möglichkeiten des kleinen Trägervereins gesprengt hätten. Wie berichtet, einigten sich Werkstatt-Verantwortliche und Vermieter auf einen Kompromiss mit Staffelmiete. Seither bemüht sich der Verein um zusätzliche Einnahmen durch die Gewinnung weiterer Fördermitglieder.

Und wer weiß, vielleicht wird er doch noch rückfällig und erfindet sich als Einzelhändler noch einmal neu in „Egons Laden 2.0“ – für Kundschaft mit der Vorliebe für so ein besonderes Sortiment und natürlich auch für sich selbst. „Das Leben steckt voller Zufälle. Und ich war schon immer offen für Neues.“