Gelsenkirchen. Schalke 04 ist wieder in die Erste Liga aufgestiegen. Was das für die Menschen in Gelsenkirchen bedeutet. Warum es um mehr als Fußball geht.
Und plötzlich ist sie da, diese magische Nacht, dieser an Dramatik kaum zu überbietende Abend, das Wechselbad der Gefühle. Eine Stadt in Ekstase, berauscht, freudetrunken, erleichtert, beseelt und glücklich. Zehntausende liegen sich in den Armen, weinen vor Freude, ihre Gesänge sind bis in die Morgenstunden zu hören, sie tanzen und lachen, zeigen sich gegenseitig ihre Gänsehaut. Der FC Schalke 04 ist aufgestiegen und Gelsenkirchen das Epizentrum der Glückseligkeit – zumindest in dieser Nacht.
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Dabei fühlte sich noch vor einem Jahr vieles beschissen an in Gelsenkirchen! Natürlich gibt es auch weniger vulgäre Begriffe, um den blau-weißen Gemütszustand von 2020/2021 zu beschreiben, doch warum lange um den heißen Brei herumreden? So war es halt.
2020/21: Schalke spielte unerklärlich schlechten Fußball
Die Pandemie hatte die Gesellschaft fest im Griff und zu allem Überfluss spielte diese Schalker Mannschaft, von der heute nichts mehr übrig ist, einen unerklärlich schlechten Fußball. Es setzte eine Niederlage nach der anderen. Woche für Woche fühlte es sich in Gelsenkirchen und im Schalker Kosmos so an, als hagelten unentwegt Nackenschläge vom Himmel herab.
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Kamera-Teams und Reporter in Mannschaftsstärke machten sich auf den Weg in die Emscherstadt, berichteten von der geschundenen Schalker Seele und dem für viele ohnehin schweren Leben in Gelsenkirchen. In kaum einer anderen deutschen Stadt haben die Menschen schließlich weniger Geld zur Verfügung, im Schnitt sind es hier nur 17.015 Euro pro Person im Jahr. Hohe Arbeitslosigkeit, hohe Schulden und viele Armutszuwanderer aus Osteuropa machen der Stadt obendrein seit Jahren zu schaffen.
Stolz sind auf ihre Heimat und ihren Verein – auf Schalke 04
An all diese Negativschlagzeilen hat man sich in Gelsenkirchen gewöhnt, was mitnichten bedeutet, dass man sie einfach so hinnimmt. So viele Menschen, Vereine und Institutionen versuchen im Rahmen ihrer Möglichkeiten entgegenzuwirken, Gelsenkirchen besser zu machen. Die vielen roten Laternen spiegeln ohnehin nur einen Teil der Lebenswirklichkeit vor Ort wieder. Zwischen Ückendorf und Hassel ist natürlich noch viel mehr, so viel Grün, so viel Kultur, so viel Herz, so viele Menschen, die sich engagieren, die ihre Stadt lieben und dadurch so lebenswert machen, die stolz sind auf ihre Heimat und ihren Verein – auf Schalke 04.
Als dann das Unvorstellbare passierte und Schalke im Sommer 2021 in die Zweite Fußballbundesliga abstieg, schien es, als geriete alles ins Wanken. Ein Beben ging durch die Stadt, für die Schalke in Anlehnung an Willy Brandt zwar nicht alles, aber alles ohne Schalke nichts ist. Dieser Verein und diese Stadt, der Club und seine Fans – das ist eine Symbiose, ein Zusammenleben zu gegenseitigem Nutzen. Schalke lebt von seinen Fans, und viele Gelsenkirchener begründen ihren eigenen Stolz mit den Erfolgen des Clubs. Wenig verwunderlich daher, dass sich die Menschen in der Stadt betrogen fühlten von ihrer großen Liebe, die sich und sie ohne sichtbare sportliche Gegenwehr dem Spott der Nation preisgab.
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Dennoch ließen die Fans nicht von Schalke ab. Kaum, dass die Coronaschutzregeln es wieder zuließen, strömten Zehntausende wieder ins Stadion, reisten der Mannschaft zu den Auswärtsspielen hinterher. Das Bild vom Phönix aus der Asche, so abgegriffen es auch ist, es passt wie das Blau zum Weiß.
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„Wir“, das ist Schalke, aber eben nicht nur der Fußballclub.
Im Verein blieb der Totalabsturz bekanntlich auch nicht ohne Folgen, Dutzende Spieler wurden weggeschickt, neue kamen. Und auch die neue Vereinsführung präsentiert sich bisher demütiger als jene früherer Zeiten. Geld ist auch für den eingetragenen Verein Schalke, der kein Konzern sein will, immer noch enorm wichtig, wird aber vorerst nicht über alles gestellt. Die Trennung von Hauptsponsor Gazprom Ende Februar gefiel den Fans, und auch in anderen Bereichen suchen Vorstand und Verein immer häufiger den Kontakt zur Stadtgesellschaft. „Zurück zu den Wurzeln“, sagte vor einiger Zeit jemand aus dem Inneren des Vereins.
Zurück ist Schalke zumindest schon mal wieder in der Ersten Liga, im Oberhaus des Deutschen Fußballs. Eben dort, wo sie hingehören. „Wir sind wieder erstklassig“, schallt es in dieser Nacht aus allen Gassen in Gelsenkirchen. „Wir“, das ist Schalke, aber eben nicht nur der Fußballclub.