Luxemburg. . Die umstrittene Vorratsdatenspeicherung verstößt nach Ansicht eines Gutachters am Europäischen Gerichtshof gegen EU-Grundrechte. Das geht aus einem am Donnerstag in Luxemburg veröffentlichten Rechtsgutachten hervor.

Die umstrittene Vorratsdatenspeicherung verstößt nach Ansicht eines Gutachters am Europäischen Gerichtshof gegen EU-Recht. Die vorgeschriebene anlasslose Speicherung von Telefon- und Internetverbindungsdaten der Bürger zu Fahndungszwecken sei unvereinbar mit der EU-Charta der Grundrechte. Das geht aus einem am Donnerstag in Luxemburg veröffentlichten Rechtsgutachten hervor. In den meisten Fällen folgt der Gerichtshof dem einflussreichen Gutachter. Ein Urteil wird in einigen Monaten erwartet.

Nach Ansicht von Generalanwalt Cruz Villalón widerspricht die EU-Richtlinie von 2006 als Ganzes der Charta, so etwa dem Grundrecht auf Schutz der Privatsphäre. Zudem sei die vorgesehene Speicherung der Daten, die bis zu zwei Jahre dauern soll, unverhältnismäßig lange. Cruz Villalón empfahl allerdings keine Aussetzung der EU-Richtlinie, sondern Nachbesserungen. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs wird erst in einigen Monaten erwartet. Das Gericht folgt dabei in der Regel der Einschätzung seines Gutachters.

Datenschutzbeauftragter sieht "Hinweis, der nicht ignoriert werden kann"

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar sieht in dem EU-Gutachten zur Vorratsdatenspeicherung ein Signal an eine neue Bundesregierung. Die Einschätzung des EU-Generalanwalts sei "ein eindeutiger Hinweis aus Luxemburg, der nicht ignoriert werden kann", erklärte Schaar am Donnerstag. "Die schnelle Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung auf Basis einer offensichtlich europarechtswidrigen Richtlinie darf nunmehr nicht mehr ernsthaft in Erwägung gezogen werden." Genau das hatten sich Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen. Mit der Vorratsdatenspeicherung gingen "weitreichende Eingriffe in die Rechte sämtlicher Nutzer von Telekommunikationsdiensten" einher, erklärte Schaar, die nun nicht mehr haltbar seien.

Dem Gutachten zufolge verstößt die Speicherung von Internet- und Telefondaten aller Bürger ohne konkreten Verdacht gegen europäisches Recht. Generalanwalt Cruz Villalón schreibt, die Speicherzeit von bis zu zwei Jahren sei zu lang. Er empfahl allerdings keine Aussetzung der EU-Richtlinie, sondern Nachbesserungen. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs wird erst in einigen Monaten erwartet. Das Gericht folgt dabei in der Regel der Einschätzung seines Gutachters.

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Große Koalition will Vorratsdatenspeicherung wieder einführen

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz erklärte, die Einschätzung des EU-Gutachters stärke die "Hoffnung auf eine bürgerrechtlicher Leuchtturmentscheidung des EuGH". "Die große Koalition muss ihre Pläne, als eines der ersten Projekte die hochproblematische Vorratsdatenspeicherung wieder einzuführen, sofort auf Eis legen, wenn sie noch bei Verstand ist."

Unterdessen wollen Union und SPD die umstrittene Vorratsdatenspeicherung in einer großen Koalition wieder einführen. Im gemeinsamen Koalitionsvertrag heißt es dazu: "Wir werden die EU-Richtlinie über den Abruf und die Nutzung von Telekommunikationsverbindungsdaten umsetzen. (...) Dabei soll ein Zugriff auf die gespeicherten Daten nur bei schweren Straftaten und nach Genehmigung durch einen Richter sowie zur Abwehr akuter Gefahren für Leib und Leben erfolgen. Die Speicherung der deutschen Telekommunikationsverbindungsdaten, die abgerufen und genutzt werden sollen, haben die Telekommunikationsunternehmen auf Servern in Deutschland vorzunehmen. Auf EU-Ebene werden wir auf eine Verkürzung der Speicherfrist auf drei Monate hinwirken."

Der frühere Koalitionspartner der Union, die FDP, hatte sich jahrelang gegen die Vorratsdatenspeicherung gesperrt - allen voran die scheidende Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Sie hatte vehement dafür plädiert, vor einer Wiedereinführung die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zu der zugrundeliegenden EU-Richtlinie abzuwarten.

Arbeitskreis fordert von Union und SPD, auf Vorratsdatenspeicherung zu verzichten

"Auch wenn das Gutachten noch kein Urteilsspruch ist, sollte klar sein, dass damit die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland keine Option mehr sein kann," kommentiert Kai-Uwe Steffens vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung das Ergebnis des Gutachtens. Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung ist ein Zusammenschluss von Bürgerrechtlern, Datenschützern und Internetnutzern, die sich in Zusammenarbeit mit weiteren zivilgesellschaftlichen Initiativen gegen die ausufernde Überwachung im Allgemeinen und gegen die Vollprotokollierung der Telekommunikation und anderer Verhaltensdaten im Besonderen einsetzen.

Steffens weiter: "Wenn die geplante große Koalition jetzt noch immer ihrem Koalitionsvertrag folgen sollte und die Totalprotokollierung des Telefon- und Internetverhaltens der Menschen erneut zum Gesetz macht, würde klar werden, dass Union und SPD mit ihrer Überwachungspolitik den Boden der rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeit verlassen haben." Die Datenschutz-Initaitive forderte am Donnerstag Union und SPD auf, "noch heute klar zu machen, dass sie die Vorratsdatenspeicherung nicht einführen werden." Erfolge das nicht, appellierte der Arbeitskreis an die Mitglieder der SPD, gegen den Koalitionsvertrag in Berlin zu stimmen. In der Nacht zu diesem Freitag endet die Frist bei der Mitgliederabstimmung zur Mitwirkung der SPD in einer Großen Koalition mit der Union. (dpa/WE)