Rabat. . Das Kussfoto eines marokkanischen Schülerpärchens schlägt Wellen. Die Jugendlichen werden wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses vor Gericht gestellt. Ihnen drohen bis zu zwei Jahr Haft. Ein Jugendgericht lässt es bei einer Verwarnung bewenden.
Ein marokkanischer Schüler küsst seine Freundin auf einer ruhigen Straße in der Nähe der Schule. Ein Freund des Pärchens fotografiert die Szene in der Küstenstadt Nador im Norden Marokkos. Anschließend posten die drei jungen Leute die Aufnahme bei Facebook. Das harmlose Foto - mittlerweile als "le baiser de Nador" (der Kuss von Nador) bekannt - schlug Wellen, nicht nur in Marokko. Die Schüler im Alter von 14 und 15 Jahren wurden von der Polizei festgenommen und fünf Tage lang eingesperrt. Ihr Fall löste eine Welle der Empörung aus, denn den jungen Leuten drohten bis zu zwei Jahre Haft wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses.
Die als konservativ geltende Justiz in Marokko sprach nun ein salomonisches Urteil: Das Jugendgericht in Nador verhängte weder Haftstrafen noch sprach es die Schüler frei, sondern ließ es bei einer Verwarnung bewenden. "Die Entscheidung ist ein Erfolg nicht nur für die Jugendlichen in Nador, sondern für alle jungen Leute in Marokko", sagte der Verteidiger Noureddine Fettahi. "Die Justiz hat nun eine Linie gezogen, die die Gerichte nicht überschreiten dürfen."
Verstoß gegen die Tradition und gegen gute Sitten
Das Kussfoto hatte das nordafrikanische Land wochenlang in zwei Lager geteilt. Konservative sahen in der Veröffentlichung einen Verstoß gegen die Traditionen und guten Sitten. Sie beklagten, dass das Internet zu einem Verfall der Moral führe. Marokko gilt in der arabischen Welt als ein tolerantes Land. Weite Teile der Bevölkerung sind in religiösen Dingen aber sehr konservativ. Dies gilt für die Gegend um Nador in besonderem Maße.
Faiçal El Marsi, Besitzer eines Cafés und Vorsitzender einer konservativen Vereinigung, hatte das Foto entdeckt, Anzeige erstattet und damit die Polizei auf den Plan gerufen. Die Festnahme der drei Schüler vor gut zwei Monaten löste eine Welle von Protesten aus. Junge Marokkaner stellten Hunderte von Kussfotos ins Internet und veranstalteten ein "Kiss-in" in der Hauptstadt Rabat. Den Behörden wurde vorgehalten, eine "neue Form der Inquisition" walten zu lassen. Amnesty International bezeichnete das Verfahren gegen die jungen Leute als "absurd" und "lächerlich". Unter dem Eindruck der Proteste ruderte auch der Kläger zurück und meinte, es sei nicht seine Absicht gewesen, die jungen Leute vor Gericht zu bringen.
Justiz wollte Wogen glätten
Die Justiz war von Anfang an darauf bedacht, die Wogen zu glätten. Das Gericht verschob den Beginn des Prozesses zunächst um einen Monat und führte die Verhandlungen dann unter Ausschluss der Öffentlichkeit. "Die Veröffentlichung des Kussfotos mag ein Verstoß gegen unsere Traditionen und Werte sein", meinte der Soziologe Ahmed Choukaïri. "Aber sie darf nicht als ein Verbrechen eingestuft und die Schüler dürfen deswegen nicht ins Gefängnis gesteckt werden."
Mit der Entscheidung des Gerichts ist der Fall noch nicht erledigt. Die Anwälte der Schüler erwägen, den Café-Besitzer zu verklagen, der das Verfahren ins Rollen gebracht hatte. Sie werfen dem Mann vor, mit seiner Klage die Privatsphäre der Jugendlichen verletzt zu haben. (dpa)