Rabat. Wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses sind zwei Jugendliche in Marokko festgenommen worden. Sie hatten auf Facebook ein Foto veröffentlicht, das einen Kuss zwischen den beiden zeigt. Aus Solidarität posteten daraufhin zahlreiche Jugendliche Kuss-Fotos auf Facebook.
Die marokkanische Polizei hat zwei Jugendliche wegen eines von ihnen auf Facebook veröffentlichten Kussfotos festgenommen. Der 15-jährige Schüler und seine 14-jährige Freundin seien bereits am Donnerstag wegen "Erregung öffentlichen Ärgernisses" festgenommen worden, berichteten das Portal Lakome und andere marokkanische Medien am Freitagabend unter Berufung auf Menschenrechtler und die Justiz.
Das gleiche gelte für einen Freund des Pärchens (15), der das Foto vor der Schule in der nordöstlichen Küstenstadt Nador aufgenommen hatte. Das Foto, auf dem der Junge und das Mädchen sich küssen, wurde demnach vor ihrer Oberschule aufgenommen.
Die drei Teenager würden in Jugendgefängnissen in Nador und Fez festgehalten und sich am Freitag nächster Woche vor Gericht verantworten müssen, sagte Rechtsanwalt Mbarek Buirik der spanischen Nachrichtenagentur efe. Der Vertreter der Marokkanischen Vereinigung für Menschenrechte (AMDH) wird nach eigenen Angaben die Verteidigung der drei Jugendlichen übernehmen. Ein örtlicher Beamte bestätigte auf Anfrage die Festnahme, wollte aber keinen Kommentar abgeben.
Aus Solidarität mit den Inhaftierten gab es vor dem Gefängnis eine Mahnwache, bei der die Freilassung des Paares gefordert wurde. Die Entrüstung sei stark, berichtet das angesehene Portal Bladi.net. Immer mehr Facebook- und Twitter-User seien dabei, aus Solidarität Kussfotos zu posten. Allen voran die Frauenrechtlerin Ibtissame Lachgar, Mitgründerin der "Alternativen Bewegung für die Individuellen Freiheiten" (MALI).
Abtreibungen sind auch bei Vergewaltigungen noch verboten
Die kämpferische Lachgar, eine 38-jährige Psychologin, die daheim inzwischen "unerwünschte Person" ist und daher in Frankreich lebt, klagt, auch nach den Demos und der Verfassungsreform von 2011 habe es bei den individuellen Freiheiten im Königreich "kaum Fortschritte" gegeben. In der Tat ist Marokko in Nordafrika vor allem für Frauen das restriktivste Land. Abtreibungen sind auch bei Vergewaltigungen noch verboten, die Haftstrafen können bis zu zwei Jahre betragen.
Selbst die Regierung räumt ein, dass in Marokko sechs Millionen Frauen regelmäßig Opfer von Gewalt werden. In mehr als der Hälfte aller Fälle schlagen die Ehemänner zu - ohne dass der Staat schützend eingreift. Ein Vergewaltiger kommt ohne Strafe davon, wenn er das Opfer heiratet. Nach dem schockierenden Selbstmord einer 16-Jährigen, die ihren Vergewaltiger hatte heiraten müssen, kam es im Frühjahr 2012 vor dem Parlament zu Großdemos. Wütende Proteste gab es in Rabat erneut im August, als ein Pädophiler von König Mohammed VI. begnadigt wurde und nach Spanien floh. Ein Irrtum, beteuerte das Königshaus.
Facebook-Affäre wirkt wie ein Witz
Vor diesem Hintergrund mutet die "Facebook-Affäre" nach Meinung vieler in Marokko wie ein Witz an. Vor der männlichen Jugend-Anstalt in Nador veranstalteten Dutzende am Samstag einen Sitzprotest. "Machen wir der Heuchelei ein Ende", wurde am Samstag auf der Facebook-Seite "Ein Kuss ist kein Verbrechen", die schon nach wenigen Stunden mehr als 1500 Likes hatte, gefordert
Auf der Gegenseite sieht man das Ganze anders. El Morsi von der konservativen "Organisation für die Menschenrechte und öffentliche Freiheiten" will nun auch die Eltern der Kids anzeigen. "Wir wollen nicht Jugendliche terrorisieren, nur gewisse Sachen klären. Können Sie sich vorstellen, wenn solche Bilder in einer traditionellen Stadt wie Nador in Umlauf kommen?", fragte er. Aktivistin Lachgar sieht sich in ihrem Land ins Spätmittelalter der Ketzer-Verfolgungen zurückversetzt. "Es ist dort Islam oder gar nichts, das ist wie die Inquisition", klagte sie jüngst in einem Zeitungsinterview.(afp/dpa)