Oxford. . Auf Twitter wiederholt sich derzeit die Geschichte: der Zweite Weltkrieg, Tag für Tag, Tweet für Tweet ist dort nachzulesen. Dahinter steht ein junger britischer Historiker aus - der sich nun für sechs Jahre zu dem Projekt verpflichtet hat.
Vor ein paar Tagen ist die erste englische Bombe auf Helgoland gefallen. Viele weitere werden folgen – schließlich ist das hier das Jahr 1939, zu Beginn des Zweiten Weltkriegs. Nur, dass er diesmal bei Twitter stattfindet.
Alwyn Collinson ist dafür verantwortlich, dass der Zweite Weltkrieg bei Twitter ausgebrochen ist. Collinson ist 24, hat in Oxford Geschichte studiert und will die nächsten sechs Jahre seines Lebens damit verbringen, die Kriegsereignisse online zu veröffentlichen. In Echtzeit, nur eben 72 Jahre später.
Große Politik und kleine Details aus dem Alltag
Tag für Tag erfährt man derzeit über den Account @RealTimeWWII, was am gleichen Tag im Jahr ‘39 geschah. Wie Finnen Dörfer niederbrennen, damit sie nicht in russische Hände fallen. Wie die SS in Stralsund psychisch Kranke erschießt. Wie die Moral britischer Truppen in Frankreich mit Bier nach englischer Brauart aufrecht erhalten wird.
„Das ist langweilig, das ist wie in der Schule, das weiß ich doch schon alles. So denken viele über den Zweiten Weltkrieg“, erklärt Collinson seine Motivation. „Ich will zeigen, wie relevant all das noch immer für uns ist, auch heute.“ Seinen Tweets liest man an, welche Strategie er verfolgt: Es geht nicht nur um große Politik und Truppenbewegungen, sondern immer auch um den Alltag im Ausnahmezustand.
Zebra-Sichtungen und rationierte Lebensmittel
Menschen, die aufgerufen werden, Weihnachten nicht zu üppig zu essen, sondern mit ihren Lebensmittel gut zu haushalten. Die sich warm anziehen müssen, obwohl Kleidung rationiert wird. Die glauben, Zebras zu sehen, weil Wildpferde mit Leuchtfarbe angemalt werden, damit sie während der Verdunklung keine Autounfälle auslösen.
„Neulich ging es in einem Tweet um sowjetische Flugblätter, die über Helsinki abgeworfen wurden“, erzählt Collinson. „Da hat mir ein Finne ein Bild von einem solchen Flugblatt gemailt. Sein Vater hatte es damals gefunden und aufbewahrt.“ Gerade dieser Austausch mit anderen Twitter-Nutzern macht für Collinson die Besonderheit seiner Kriegsberichte aus. „In Umfang und Tiefe kann ich an Geschichtsbücher nicht herankommen“, gibt er zu, „aber ich kann näher ran, konkreter sein und Beiträge aus dem Alltagsleben einbinden, die sich in keinem Buch finden.“
Zehn Tweets – ein ruhiger Tag. 30 Tweets – ein ereignisreicher Tag. „Und in Zukunft werden es sicher noch mehr Tage mit vielen Einträgen“, so Collinson, der das ganze Projekt als Hobby neben seinem Beruf bei einer Zeitschrift macht. Mehr als 170.000 Menschen lesen inzwischen, was er twittert, eine Gruppe von Freiwilligen übersetzt – ins Türkische, Französische, Chinesische, Arabische und viele andere Sprachen. Auch eine deutsche Version gibt es neuerdings: unter @RealTimeWK2.