"Cloud Computing", die Verlagerung von Anwendungen und Daten ins Internet, ist beim Suchmaschinenmarktführer ein großes Thema. Wie würde sich das Netz verändern, wenn Google seine Dienste noch weiter ausbaut?
10 Tipps für Google
Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie wir Computer und Internet in den kommenden Jahren nutzen werden, muss man sich nur die Arbeitsplätze von typischen Google-Mitarbeitern ansehen. Die meiste Software, die sie verwenden, liegt samt ihrer Daten im Web – egal ob es nun Bilder, Videos, Präsentationen oder E-Mails sind. So erreichen sie ihre wertvollen Digitalbestände von überall – egal ob im Büro, am heimischen PC, in einem öffentlichen Internet-Cafe oder auf einem Web-fähigen Handy. Auch die Angst vor Festplattencrashs lähmt die Google-Mitarbeiter kaum. Neulich musste Sam Schillace, der technische Direktor, der für die kollaborativen Web-Anwendungen bei Google zuständig ist, ein problematisches Medium neu formatieren, das in einem Rechner steckte, den er mindestens sechs Stunden am Tag benutzt. Diese vollständige Löschung aller Daten würde bei normalen PC-Benutzern schnell Panik auslösen. Schillace störte das wenig: "Da war nichts drauf, was mir wichtig war", sagt er. Es habe nichts gegeben, was er nicht aus dem Web rekonstruieren konnte.
Schillaces digitales Leben existiert also zum größten Teil im Netz – er praktiziert das, was die Experten "Cloud Computing" nennen, die Ressourcennutzung in der "Wolke" des Internet. Google erlaubt es auch normalen Usern längst, Teile ihrer persönlichen Daten ins Web zu übertragen. Google Calendar organisiert Termine, Picasa speichert Bilder, YouTube die Videos, Gmail E-Mails und Google Docs die Dokumente, Tabellen und Präsentationen. Doch wie das "Wall Street Journal" kürzlich berichtete, ist das erst der Anfang: Google soll einen Dienst planen, der Nutzern erlaubt, die Inhalte kompletter Festplatten online zu stellen. Der Internet-Konzern gibt nicht zu, dass ein solcher Dienst existiert. In einem offiziellen Statement hieß es nur, dieser Storage-Bereich sei eine wichtige Komponente, um es Endkunden und Geschäftsanwendern zu erleichtern, Web-Anwendungen zu nutzen. "Wir hören ständig auf unsere User und suchen nach Wegen, unsere Web-Anwendungen zu verbessern und auf den neuesten Stand zu bringen. Dazu gehören auch Speicherlösungen, aber wir haben zu diesem Thema derzeit nichts Neues anzukündigen." Und trotzdem – viele Beobachter glauben, dass Google seine derzeit noch als Einzelgänger auftretenden Cloud Computing-Angebote in einen größeren gemeinsamen Dienst zusammenfassen wird. Die sich daraus ergebenden Konsequenzen interessieren viele.
Google ist keinesfalls die einzige Firma, die in den Online-Storage- und Cloud Computing-Bereich investiert. Es gibt bereits Dienste, die große Speichermengen und Softwareprodukte in der Cloud anbieten. Dazu gehört Amazons "S3"-Service, der unlimitierten und verhältnismäßig günstigen Plattenplatz (15 US-Cent pro Gigabyte, allerdings mit zusätzlichen Kosten für verschiedene Zugriffsformen) verkauft. AOL vermietet mit einem Dienst namens "Xdrive" Kapazitäten von 50 Gigabyte für 10 Dollar im Monat (5 davon sind kostenlos). Und Microsoft bietet mit "Windows Live SkyDrive" (aktuell in der Betaphase) immerhin 1 Gigabyte freien Platz.
Doch Google scheint besser positioniert zu sein als andere, Cloud Computing in den Mainstream zu überführen, wie Thomas Vander Wal von der auf das Thema spezialisierten Beratungsfirma Infocloud Solutions sagt. So benutzten bereits Millionen von Menschen Googles Online-Dienste und speicherten über diese Software ihre Daten auf den Servern des Konzerns. Vander Wal zufolge hilft auch Googles Kultur, die Dienste unter einem Dach zusammenzubringen. Yahoo, Microsoft und Apple säßen zwar ebenfalls auf großen Datenbergen mit persönlichen Informationen und böten diverse Online-Anwendungen an, doch dort seien die Barrieren zwischen den einzelnen Abteilungen größer. "Es könnte sein, dass Google die Grenzen hier erneut einreißt – in einem Bereich, in dem andere schon eine Weile festsitzen."
Eines der Segmente, in denen Google besonders viel Bedeutung entwickeln könnte, sei der Mobilbereich, meint Vander Wal. Der Internet-Konzern kündigte kürzlich mit "Android" eine Plattform an, mit der die Nutzer Software für eine ganze Reihe von Mobiltelefonen entwickeln können – wenn sie das Prototypenstadium einmal verlassen hat. Die Allianz könnte die Schaffung von mobilen Anwendungen befördern, die das Cloud Computing vorantreiben. Die Leute wollten ihre Daten zwischen Rechner, Web und Handys mühelos verschieben können, meint Berater Vander Wal. "Wenn Google diesen Problemteil löst, hat das schon alleine deshalb große Auswirkungen, weil es sonst noch niemandem gelungen ist."
Eine vereinheitlichte Cloud Computing-Oberfläche besteht aber nicht nur aus Software. Sie hat diverse soziale wie rechtliche Fallstricke, mit denen umgegangen werden muss. Besonders deutlich wird dabei das Problem des Daten- und Privatsphärenschutzes, wie Jimmy Lin, Informatikprofessor an der University of Maryland, betont. Das werde besonders wichtig, wenn Google beginnt, Werbung einzublenden, die zu den persönlichen Informationen passt – bei Google Mail erfolgt das längst. Je nachdem, welche Daten für diese zielgerichtete Werbung verwendet werden, führt das bei Nutzern zu großem Unwohlsein. "Der Gruselfaktor, den das hat, ist von Mensch zu Mensch verschieden", sagt Lin. Seiner Erfahrung nach sind die User jedoch leidlich zurückhaltend. Dazu kommt, dass die von Google verwendeten Sicherheitsmechanismen Fehler haben können. Es gab Berichte, laut denen sich Google Mail-Nutzer plötzlich im Postfach eines anderen wiederfanden, so Lin. "Einfache Zusicherungen reichen nicht, um den Leuten die Angst zu nehmen. Es reicht nur ein schlimmer Fall, schon ist das Vertrauen weg."
Und dann wären da noch die Urheberrechtsfragen, die das Cloud Computing hervorruft. Ein Vorteil der Speicherung von Daten in der Cloud wäre, dass sie sich leicht mit anderen Menschen teilen ließen – bei Musik und Filmen wäre das oft illegal. Und schon allein das Speichern bestimmter Informationen könnte gegen Urheberrechte verstoßen. Daten, die Lin zu Forschungszwecken verwendet, haben so beispielsweise Lizenzbedingungen, die ihr Verschieben in andere Bundesstaaten verbieten. "Das ist ein Fall, in dem die Gesetze überhaupt nicht mehr funktionieren. Die müssten alle umgeschrieben werden."
Und da wäre auch noch das Problem der ständig notwendigen Verbindung: Eine Online-Datensammlung ist wenig nützlich, wenn es keine Internet-Verbindung gibt oder die Handyverbindung ständig abbricht. Google-Mann Schillace sagt dazu, dass die Internet-Verfügbarkeit immer besser werde. Der Firma sei aber auch klar, welche heutigen technischen Probleme es gäbe, Web-Anwendungen unterbrechungslos zur Verfügung zu stellen. "Das ist sicher ein Problem, aber es gibt mehrere Möglichkeiten, das anzugehen." Google biete beispielsweise eine herunterladbare Software namens "Gears" an, die als Zwischenspeicher für die Daten dient, wenn Web-Anwendungen offline genutzt werden müssen. Ist das Netz dann wieder da, werden die Änderungen automatisch synchronisiert und auf dem Server gespeichert. Schillaces Team arbeitet an einer Integration solcher Funktionen in Google Docs. Und da wäre dann auch noch eine weitere mögliche Lösung, die in der Zukunft liegt: Google gab an, sich für das neue 700 MHz-Spektrum in den USA zu bewerben, das von der Regulierungsbehörde FCC im Januar versteigert wird. Es soll ganz neue drahtlose Internet-Anwendungen ermöglichen.
Microsoft beobachtet Googles Aktionen genau – und das Unternehmen glaubt, über konkurrenzfähige Ansätze zu verfügen. "Wir leben nicht nur in einer Online-Welt", meint Brian Hall, General Manager der Windows Live-Geschäftseinheit. "Es wird immer eine Kombination aus online und offline sein. Und die Lösung gewinnt, die den besten Job in beiden Bereichen macht." Microsoft arbeite deshalb an Software, mit der die Nutzer ihre Daten auf der heimischen Festplatte speichern können, um ihre Privatsphäre zu schützen, gleichzeitig aber auch Zugriff aus der Ferne haben werden. Die Speichergröße sei aber nichts, was für die Nutzererfahrung besonders wichtig sei: "Es geht am Ende nicht um einen Gigabyte zu Gigabyte-Vergleich. Darüber werden die Herzen und Hirne der Kunden nicht gewonnen."
Und dennoch: Googles Cloud Computing-Ansatz hat den Reiz der Einfachheit, trotz aller Probleme, meint Schillace "Ich denke, dass jede Generation neuer Anwendungen eine weitere Schicht des Computers abträgt." Anfänglich agierten die Nutzer mit Rechnern über die Kommandozeile, dann über grafische Schnittstellen. Heute arbeiteten sie viel im Browser, egal ob auf dem PC oder auf einem Handheld. "Es geht darum, dass der PC aus dem Weg geht, damit Sie mit anderen Menschen zusammen arbeiten und Informationen austauschen können."