Essen. „Du wirst uns noch mal dankbar sein!“, „Mach dich nicht schmutzig!“, „So gehst du mir nicht aus dem Haus!“: Wir kennen diese Sätze von unseren Eltern – und manche geben sie an ihre Kinder weiter. Ein neues Buch des Journalisten und Autors Walter Schmidt erklärt, welche Folgen solche Sätze haben.

Walter Schmidt erklärt, warum Mütter und Väter zu solchen Sätzen greifen und wie man auch anders reagieren kann. Wir drucken hier auszugweise ein leicht gekürztes Kapitel ab:

Das weltweite Netz ist eine aberwitzige Wunderkiste. Auf verschlungenen Pfaden dringt man beispielsweise zu „Momoman 12“ vor, einem Jugendlichen, der mit 14 Jahren in einem Ratgeber-Forum folgendes Problem beschrieben hat: „Vor zwei Jahren wollte ich mal ausprobieren, Geige zu spielen, und ich habe meinen Eltern auch gesagt, dass ich es nur ausprobieren möchte. Das erste Jahr war in Ordnung. Im zweiten Jahr hatte ich schon keine Lust mehr.“ Dennoch erschien der Junge regelmäßig zu den Geigenstunden in der Schule; seine Miene kann man sich vorstellen.

Du wirst uns noch mal dankbar sein!

Inzwischen schwänzt er die Streich-Einheiten. „Ich habe wirklich überhaupt keine Lust mehr, dieses Schei…- instrument zu spielen. Meine Eltern zwingen mich aber dazu“, vertraut er dem Internet an. Er selber würde „viel lieber wieder Gitarre spielen.“ (...) „Mein Vater meint, ich soll noch dieses Jahr geigen, dann kann ich aufhören. Meine Mutter sagt, ich soll noch dieses Jahr machen, und im nächsten Jahr schauen wir mal.“

Was aber bedeute, dass er auch im nächsten Jahr noch wird fiedeln müssen: „Ich kenne meine Mutter!“ Dass der Geigenschüler wider Willen „weder Klassik noch Country“ mag, sondern geigenferne Genres wie „Rock, Hard Rock und jede Art von Metal“, beeindruckt die Eltern nicht. „Die Argumentation meiner Mutter ist immer: ,Du wirst uns später noch dankbar sein!’“, außerdem sei das Ganze kostenlos. (...)

Tatsächlich neigen nicht wenige Kinder und Jugendliche zur Sprunghaftigkeit, probieren gerne heute dieses aus, um es morgen schon wieder bleiben zu lassen und sich interessanter Erscheinendem zuzuwenden. Eltern geraten hier schnell in ein Dilemma: Der Reitkurs, für den die 13-Jährige gestern noch glühte, ist für ein halbes Jahr im Voraus bezahlt, aber die Tochter verspürt schon nach zwei Kursstunden keine Lust mehr auf die Übungsrunden im Sattel und hat „keinen Bock mehr“ auf das Striegeln und Füttern der Pferde. Was auch immer der Grund für den Widerwillen ist: Der erstbesten Unlust des Kindes zu folgen wäre unklug.

Bedenken kindgerecht begründen

Hier müssen die Eltern geduldig ermuntern, ihre Bedenken kindgerecht begründen und bisweilen auch hart verhandeln. Doch beim fairen Verhandeln geht es immer um einen Kompromiss, den das Kind mitgestalten darf. Das kann so aussehen, dass vier oder sechs Reitstunden ohne großes Nörgeln weitergeübt wird, weil der Appetit manchmal erst beim Essen kommt oder der Reitspaß mit wachsender Könnerschaft. Doch dann darf auch Schluss sein, wenn die Tochter wirklich nicht mehr möchte!

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Entscheidend ist, dass die Eltern sich in ihr Kind einfühlen können und wissen, wann es ihm ernst ist mit seinem Protest – und wann ihr eigenes Beharren nur noch Schaden anrichten würde. Im Fall des jungen Geigenschülers scheint dieser Punkt erreicht zu sein. Ein Kind, das Violine gar nicht aus eigenem Antrieb lernen möchte, zum Geigenspiel zu drängen, ergebe „keinen Sinn“, urteilt die Motivationsforscherin Regina Vollmeyer von der Universität Frankfurt. „Es ist für so ein Kind gar nicht einsichtig, warum es Geige spielen soll; es macht es höchstens für die Eltern.“ (...)

Mit Geduld und Liebe über Durststrecken hinweghelfen

Schwieriger gelagert sind andere Fälle, in denen es um viel mehr geht. Etwa dann, wenn eine Gymnasiastin in der 7. Klasse überfordert erscheint und die Eltern womöglich darum bittet, das Gymnasium verlassen zu dürfen. „Geige spielen zu können braucht man im Leben nicht unbedingt; das Abitur hingegen kann auf lange Sicht sehr sinnvoll sein“, sagt die Psychologin. Seinem Kind mit Geduld und Liebe über eine Durststrecke hinwegzuhelfen, es immer wieder zu motivieren, ist etwas, worüber die Tochter oder der Sohn Jahre später froh sein wird. Wenn aber gar nichts fruchten will, sollte geklärt werden, ob eine andere Schulform besser geeignet ist, sodass dort mit mehr Freude und aus eigenem Antrieb gelernt werden kann. Pädagogische Psychologen können bei solchen Entscheidungen helfen. (...)

Der Appell aber an die künftige Dankbarkeit ist mehr als heikel, und zwar aus mehreren Gründen. Man kann auf Dankbarkeit zwar hoffen, sie aber nicht einfordern, und schon gar nicht kann man sie sich für spätere Zeiten quasi bestellen.

„Der Vorgriff auf eine Dankbarkeit, die sich erst später einstellen wird, bleibt zunächst einmal reine Spekulation“, sagt der Psychologe Malte Mienert, ein Fachmann für Lernmotivation. Sehr rar dürften Mediziner sein, die Freudentränen darüber vergießen, dass ihre Tochter trotz Einser-Abitur Floristin werden möchte. Wollte ihr Vater die junge Frau nun davon abbringen, ihr Glück mit Blumengestecken zu versuchen, weil man „doch eine alteingesessene Arztfamilie“ sei, würde er keine Fürsorge betreiben, sondern Manipulation. Für den womöglich gelingenden Versuch, sie umzustimmen, dann noch Dank zu erwarten, macht die Sache nicht besser.

Mehr über typische Elternsprüche:

Walter Schmidt: Solange du deine Füße ... – Was Erziehungsfloskeln über uns verraten. Eichborn Verlag , 286 Seiten, 14,99 Euro