Essen. Das Sicherheitsbedürfnis steigt: Mehr Bürger kaufen Pfefferspray , machen Waffenscheine, kaufen Schreckschusswaffen. Experten sehen das kritisch.
- Immer mehr Menschen rüsten auf, um sich bei Angriffen selbst verteidigen zu können
- Verkauf von Pfefferspray gestiegen, immer mehr kleine Waffenscheine in NRW registriert
- Experten sehen die Entwicklung kritisch - und plädieren für Alternativen
"Das Bedürfnis der Menschen nach Selbstschutz steigt. Das zeigen die Zahlen der Kleinen Waffenscheine und der vermehrte Verkauf von Pfefferspray", sagt Polizeisprecher Christoph Wickhorst. In der Tat: Die Anzahl der Kleinen Waffenscheine in Nordrhein-Westfalen hat sich nach Angaben des Innenministeriums in den letzten zwei Jahren fast verdoppelt. Der Kleine Waffenschein berechtigt den Inhaber zum Führen von Signalpistolen, Gaspistolen und Schreckschusswaffen. Im Jahr 2014 haben rund 64.000 Menschen in NRW Kleine Waffenscheine gemacht. Im Jahr 2016 waren es mehr als 120.000.
Pfefferspray nur "Scheinsicherheit"
Die Verkaufszahlen von Pfeffersprays können nicht genau genannt werden, weil sie von niemandem erhoben werden, erklärt Ingo Meinhard vom Verband Deutscher Büchsenmacher und Waffenfachhändler (VDB). Der Absatz habe sich nach Schätzungen des Verbandes in den letzten zwei Jahren mehr als verdoppelt - seit den Ereignissen der Kölner Silvesternacht, als beim Jahreswechsel von 2015 auf 2016 hunderte Feiernde am Dom bedrängt und beraubt wurden. "Allein mit dem Kauf des Pfeffersprays steigt bei den Menschen das Sicherheitsgefühl", sagt Meinhard. Dabei würden die allermeisten Menschen das Spray nie benutzen. Das zeige sich auch daran, dass viele Kunden abgelaufene Pfeffersprays ersetzen - ungeöffnet.
Psychologin Carolin Barth aus Mülheim sieht den Umgang mit Pfefferspray als "brandgefährlich" an: "Es steigert nur das subjektive Sicherheitsgefühl. Es ist eigentlich eine Farce", sagt sie. Auch Horst Sach vom Bundesverband für Selbstverteidigung spricht in diesem Zusammenhang von "Scheinsicherheit" und "Selbstgefährdung". Täter würden häufig so schnell agieren, dass Opfer gar nicht die Zeit hätten, das Spray überhaupt aus der Tasche zu holen. Und: Auch die richtige Handhabe einer solchen Waffe - denn genau das ist Pfefferspray - müsse erst einmal trainiert werden.
Innenministerium warnt vor Schreckschusswaffen
Das NRW-Innenministerium rät dringend davon ab, sich mit Gas- oder Schreckschusswaffen auszustatten. In Konfliktsituationen sei es immer besser, auf sich aufmerksam zu machen und die Polizei zu rufen. Es passiere immer wieder, dass die richtige Handhabung im Konfliktfall scheitere - und Waffen womöglich sogar gegen den eingesetzt werden, der sich damit schützen will. Gas- und Schreckschusspistolen könnten schwere bis lebensbedrohliche Verletzungen verursachen.
Zudem: Viele Schreckschusswaffen sehen so täuschend echt aus, dass oft weder Unbeteiligte noch die Polizei auf Anhieb erkennen können, ob es sich um eine scharfe Waffe handelt, so eine Sprecherin des Innenministeriums. Im Zweifel könne es passieren, dass Beamte im Einsatz Schwierigkeiten haben, die Situation richtig einzuschätzen.
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Sicherheitshosen für Frauen
Eine neue Alternative zum Selbstschutz für Frauen bieten die so genannten "Safe Shorts". Das sind moderneHigh-Tech-Hosen, die Frauen vor Vergewaltigung schützen sollen.Die Polizei sieht diesen Schutz als bessere Alternative. "Wenn die Menschen sich präventiv schützen, ist das in Ordnung. Was wir kritisch sehen ist, wenn sie sich selbst bewaffnen", sagt Wickhorst. Die Fallzahlen in Essen und Umgebung seien insgesamt eher gering. "Eine Zunahme von sexuellen Übergriffen kriegen wir bei unseren Patienten nicht mit", sagt auch Psychologin Barth. Sie denkt, dass die Hose nicht schützt. Im Gegenteil: Dadurch würde die Risikobereitschaft mancher Frauen womöglich steigen. Es sei viel effektiver, nachts nicht alleine rauszugehen: "Schützen können Sie sich gar nicht. Es ist wichtig, Risiken zu minimieren", sagt die Psychologin.
Auch Horst Sach vom Bundesverband für Selbstverteidigung hält von den "Safe Shorts" nichts: "Ich bin keine Frau und weiß nicht, wie bequem und stylisch die sind. Aber wenn ein Täter wirklich angreift, geht er bis zum Äußersten." Da könnte auch die Hose ihn nicht abhalten. Er rät als Alternative zu Selbstverteigungs- und Selbstbehauptungskursen. Die Anfragen seien in den letzten Monaten stark gestiegen.
Präventionsarbeit wichtig
Zusätzlich sei aber auch Prävention wichtig. Frauen müssten lernen, sich anders in der Öffentlichkeit zu verhalten. Sie sollten zum Beispiel lieber die beleuchtete Straßenseite benutzen als die weniger beleuchtete. Und nicht immer mit dem Handy in der Hand und Kopfhörern im Ohr herumlaufen - weil sie dann gar nicht mitbekommen würden, wenn plötzlich jemand hinter ihnen stehe.
Für Psychologin Carolin Barth hängt das verstärkte Sicherheitsbedürfnis eng mit der oft sehr umfangreichen Berichterstattung darüber zusammen, dass die Welt gefährlicher geworden sei - siehe die jüngsten Anschläge. Aber man müsse auch zwischen subjektiver und objektiver Wahrscheinlichkeit unterscheiden. Nach einem Terrorverdacht am 23. Dezember 2016 sei das Centro in Oberhausen so leer wie nie gewesen. Und auch nach dem Attentat auf dem Berliner Weihnachtsmarkt seien viele Weihnachtsmärkte weniger besucht worden. "Aber die Wahrscheinlichkeit, tatsächlich selbst Opfer eines Terroranschlags zu werden, ist gering", meint Barth.