Coburg . Der Ruhestand: kein Termindruck, Zeit für Hobbys, Zeit für den Partner. Doch oft zeigt sich: Die gemeinsame Zeit ist gar nicht so leicht zu füllen.
Es sind längst nicht mehr nur ein paar Jahre Ruhestand, die sich an das Berufsleben anschließen. Für viele Menschen ist es noch ein ganzer Lebensabschnitt. Aber nicht wenige unterschätzen die Zäsur, die das Ende der Berufstätigkeit im Alltag bedeutet. "Die viele freie Zeit muss erst einmal gefüllt werden", sagt Eheberater und Pädagoge Prof. Michael Vogt, der an der Hochschule Coburg Paartherapeuten ausbildet und ein Beratungskonzept für ältere Menschen entwickelt hat.
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Paare, die bisher vor allem damit beschäftigt waren, Job, Familie und Haushalt zu managen, und allenfalls am Wochenende oder im Urlaub Zeit füreinander hatten, sind nun rund um die Uhr zusammen. Das stellt sich oft als weniger idyllisch heraus, als zunächst angenommen. Er will endlich ausschlafen, sie macht morgens gern im Schlafzimmer Yoga. Sie hofft auf mehr Theaterbesuche, er sieht lieber fern. Er ist genervt, wenn sie ihn mit dem Staubsauger beim Zeitunglesen stört. Sie meckert, weil er die falsche Marmelade aus dem Supermarkt mitgebracht hat. Eigentlich nur Kleinigkeiten, die dem Alltag zu zweit aber schnell einen Grundton von Nörgelei und Unzufriedenheit geben. Viele Paare haben es geradezu verlernt, Zeit miteinander und nicht nur nebeneinander zu verbringen.
Der Ruf nach Anerkennung
"Das Leben miteinander, die Wünsche nach Nähe und Distanz müssen neu ausgehandelt werden", sagt Vogt. "Schwierig wird es immer dann, wenn der eine dem anderen vorzugeben versucht, wie er seinen Tag zu gestalten hat." Zugleich fallen die sozialen Beziehungen des Berufslebens weg. Vom Chef oder von den Kollegen gab es Anerkennung für die geleistete Arbeit, von der Ehefrau möglicherweise nicht.
Was der Ruhestand etwa für die Aufteilung der Hausarbeit bedeutet, hat sich der Soziologe Thomas Leopold von der Universität Amsterdam genauer angesehen. Auf der Basis von Befragungen bei 1300 Paaren in Deutschland untersuchte er, ob sich die Rollenverteilung im Haushalt änderte. Bei den Männern verdoppelte sich die Zahl der Stunden, die sie täglich für Arbeiten im Haus aufwendeten auf vier, bei den Frauen gab es einen leichten Rückgang. Es sind allerdings weniger die Routinearbeiten wie Spülen und Staubsaugen, mit denen sich die Männer beschäftigen, "sondern eher männertypische Tätigkeiten wie Reparaturen oder Gartenarbeit", sagt Leopold.
Die Situation eines Paars im Ruhestand "ist einem jungen Paar, das sich erst seit kurzem kennt und nun Gemeinsamkeiten auslotet, gar nicht so unähnlich", sagt Franz Thurmaier, Leiter des Instituts für Forschung und Ausbildung in der Kommunikationstherapie in München, der Kommunikationstrainings-Programme für Paare entwickelt.
"Wo Stehen wir, und wo wollen wir hin?"
Wie gut der Einstieg in den neuen Lebensabschnitt gelingt, hängt auch davon ab, in welchem Maße beide Partner bereit sind, sich mit der neuen Situation auseinanderzusetzen. Weiß ich überhaupt noch, was meinen Partner interessiert, woran er Freude hat? "Beide sollten für sich die Frage klären, was sie sich für sich selbst und für das Leben mit dem Partner wünschen, und sich dann darüber austauschen", sagt Thurmaier.
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Noch besser sind die Voraussetzungen, wenn sich das Paar dafür auch vorher schon Zeit genommen hat. "Sich in regelmäßigen Abständen die Frage zu stellen "Wo stehen wir, und wo wollen wir hin", tut jedem Paar gut, unabhängig vom Alter", sagt auch Vogt. Schwieriger wird es, wenn ein Partner unzufrieden ist. "Falsch wäre es jetzt, zu nörgeln und zu schimpfen", sagt Thurmaier. Er rät: "Erst einmal auf sich selbst schauen, für sich selbst erfüllende Interessen finden. Vielleicht wird der Partner ja neugierig und zieht mit."
Die ersten ein, zwei Jahre des Ruhestands verlaufen meist noch unproblematisch, beobachtet Vogt: "Man freut sich über die freie Zeit, nutzt sie zum Beispiel für Reisen." Doch dann kommt der Alltag und mit ihm die Frage, wie das Leben aussehen soll, wenn das Korsett aus beruflichen und familiären Verpflichtungen es nicht mehr zusammenhält. Nicht immer gelingt es, gemeinsam den Einstieg in den neuen Lebensabschnitt zu schaffen. "Die Zahl der Scheidungen nach langer Ehe steigt", sagt Vogt. Zugleich beobachtet er eine "Grundsehnsucht, gemeinsam alt zu werden". Viele ältere Singles seien auf Partnersuche. Aber: Nach der ersten aufregenden Zeit kommt wieder die Routine des Alltags. Und man muss wieder neu aushandeln, wie man die Freiheit des Ruhestands mit Leben füllt. (dpa/tmn)