Essen. Comedian und Slampoet Jan Philipp Zymny sucht in seinem neuen Solo „surRealität“ die „gute Unwirklichkeit“. Wir sprachen mit dem Wahl-Bochumer.
Er gilt als Meister des Nonsens: Jan Philipp Zymny unterhält die Comedy- und Poetry-Slam-Gemeinde seit Jahren mit skurrilen wie manchmal auch bewusst sinnfreien Geschichten. In seinem vierten Programm „surRealität“ wird der 27-Jährige aber auch politische Themen ansprechen, wie er im Interview mit Patrick Friedland verriet.
Gibt es für Sie als Wortakrobaten schon ein Unwort des Jahres?
Jan Philipp Zymny: Eigentlich habe ich das mit den Unwörtern gar nicht so mitgekriegt. Und ich halte da meist auch nicht viel von, Jugendwort des Jahres und sowas …
Ich dachte, da kommt jetzt sowas wie „systemrelevant“ …
Hmm … da müsste ich erstmal drüber nachdenken. Wie systemrelevant wir Künstler sind, habe ich mich in den letzten Monaten häufiger gefragt. Ich glaube, dass wir schlussendlich systemrelevanter sind als viele denken. Man vergisst gerne, dass auch die Medien, die wir in der Shutdown-Zeit konsumiert haben, Teil der Kultur ist. Da sitzen Leute hinter, die das alles produzieren, egal ob es ein Stream-Programm oder ein Youtube-Kanal ist. Wir steuern also einen relevanten Teil dazu bei, die Leute irgendwie bei Laune zu halten. Es gibt natürlich keinen direkten Systemrelevanz-Zusammenhang wie bei Krankenschwestern. Aber letztlich sind wir alle Teil einer hochkomplexen Maschinerie, wo jedes Rädchen seinen Teil leistet.
„Das Grundprinzip meiner Branche ist gerade keine gute Idee“
Womit haben sie das letzte halbe Jahr verbracht?
Am Anfang war ich ziemlich verzweifelt und verwirrt. Ich wusste nicht, wohin das alles führen soll. Über die Zeit habe ich gelernt, das als Chance zu begreifen. Ich konnte mich intensiv auf das neue Programm konzentrieren und ein Buchprojekt in Angriff nehmen. Wird wohl was in Richtung Science-Fiction oder Fantasy, weil ich das seit jeher selbst gern gelesen habe.
Wie gehen Sie mit den ganzen kurzfristigen Auftrittsabsagen um?
Es ist wahnsinnig schade, ein Schlag ins Gesicht und niederschmetternd. Ich freue mich ja immer mindestens soviel auf die Show wie das Publikum, vielleicht sogar ein bisschen mehr und ich vermisse es. Aber ich sage mir dann immer, dass das halt gerade verantwortungsvoll ist, es abzusagen. Das Grundprinzip meiner Branche ist eben: Möglichst viele Leute auf möglichst engem Raum ohne Fenster zusammenquetschen. Das ist gerade keine gute Idee.
Wie fühlten sich Ihre letzten Auftritte an?
Unfassbar toll. Weder ich noch die Leute im Publikum lassen sich von den Auflagen den Abend verderben. Beide Parteien sind megafroh, dass das in diesen Zeiten überhaupt stattfinden kann, es ist ein Stück weit Eskapismus für zwei Stunden.
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Was verbirgt sich denn hinter dem TourTitel „surRealität“?
Ich kam da drauf, weil den Leuten immer mehr der Blick dafür abhanden geht, was wirklich Realität ist und wie diese funktioniert. Das Programm spürt dem nach, woran es liegen könnte, dass immer Leute den Blick für die Realität verlieren. Es läuft in eine Richtung, die ich für extrem ungut halte, eine sehr böse Richtung, von der bestimmte Einzelpersonen und Gruppen profitieren. Ich möchte einen Gegenentwurf, eine Abkehr von der Realität, aber in eine künstlerische Richtung, in eine „gute Unwirklichkeit“.
Welche Taktik empfehlen Sie, dieser Realität zu entfliehen?
Ich höre gerade die Stimme meiner Agentin. Die sagt, dass man meine Bücher lesen soll. Und einen Youtube-Kanal habe ich auch.
„Es ist schwer, Unsinn zu schreiben und das politisch zu machen“
Werden Sie politischer als früher?
Es wird politischer werden als die bisherigen Programme, natürlich geht es um Fake News. Ich habe immer über Sachen geschrieben, die mich persönlich beschäftigen. In letzter Zeit ist das eher das Politische. Aber auch meine ganzen Quatsch-Geschichten müssen rein. Es ist schwer, Unsinn zu schreiben und das politisch zu machen.
Was ist denn für Sie das Schönste an der aktuellen Realität?
Schwierige Frage. Ich muss gestehen, dass ich den Aspekt der Ruhe und Entschleunigung seit Corona sehr schätze. Das würde ich ungern wieder hergeben, wenn irgendwann wieder der Normalzustand herrscht. Auf der anderen Seite würde ich die aktuelle Situation schon wieder ganz gerne eintauschen. Aber jetzt habe ich endlich mal wieder ein paar Hobbys für mich entdeckt, nachdem ich jahrelang in meiner Arbeit verschwunden bin.
Zum Beispiel?
Ich habe angefangen, Schlösser zu knacken. So richtig mit Dietrich und dem ganzen Besteck, dass man dafür braucht. Wenn es also bald nicht mehr klappt mit den Auftritten, werde ich einfach Einbrecher.
„Ich bin großer Fan von Dalis Bildern“
Welche surrealistische Kunst empfehlen Sie denn?
Ich beschäftige mich viel mit Dadaismus, da gibt es ja einige Ähnlichkeiten. Ich bin großer Fan der Bilder von Salvador Dali, die schaue ich unfassbar gerne an, um mich inspirieren zu lassen. René Magritte muss ich auch nennen. Und wer es zeitgenössischer mag, dem empfehle ich meinen Kollegen Andy Strauß. Der lässt sich nicht in eine Nische drängen. Einmal ist er als Techno-Jesus bei einem Rave mit eigenen Techno-Stücken aufgetreten, mit Abendmahl. Er verteilte da Kekse und Pfeffi. Und beim nächsten Auftritt liest er dann wieder nur seine Slam-Texte vorbei. Bin gespannt, was als Nächstes kommt.
Kommen wir zum Ende mal zu einem Trend: Warum hat eigentlich jeder Künstler mittlerweile einen Podcast?
Das wüsste ich auch gern. Ich glaube, es liegt einfach daran, dass es populär ist. (lacht) Ich und mein Kollege Björn Gögge haben uns Mühe gegeben, den Leuten einen Einblick ins Tourleben und hinter die Kulissen zu gewähren. Es schafft eine persönliche Bindung zu den Fans. Sie sollten Mails schreiben und dann haben wir besprochen, was die wissen wollten. Die Fallhöhe zwischen Künstler und Publikum ist da auch niedriger, als wenn der Fan den Künstler nach der Show um ein Autogramm bittet.
Wäre ein Podcast-Mitschnitt vor Live-Publikum denkbar?
Eher nein. Da trete ich lieber mit meinem Soloprogramm auf.
Letzte Frage: Vor einigen Jahren sprachen Sie von Ihrem großen Wunsch, mal eine Samstagabendshow zu bekommen. Wie sieht’s aus?
Es tut sich was, ich arbeite daran. Aber das steckt aktuell noch nicht mal in Kinderschuhen. Fötusschuhe trifft es besser.
>>>INFO: Jan Philipp Zymny auf surREALITÄT-Tour:
Termine bis Juni 2021: 13.10. Düsseldorf (Zakk, ausverkauft), 13.11. Mülheim (Ringlokschuppen), 3.12. Bochum (Bahnhof Langendreer), 10.12. Köln (Comedia), 18.12. Wuppertal (Die Börse), 13.+14.1. Hagen (Pelmke), 29.1. Münster (Kap 8), 5.2. Duisburg (Grammatikoff), 6.2. Soest (Alter Schlachthof), 20.3. Krefeld (Südbahnhof), 10.4. Siegen (Lyz), 15.4. Essen (Zeche Carl), 6.5. Dortmund (Junkyard), 13.5. Bochum (Bahnhof Langendreer), 11.6. Gevelsberg (Filmriss).
Karten gibt’s ab ca. 18 € unter anderem auf www.ruhrticket.de.