Essen. Mitten in der Corona-Krise erscheint „Kompass zur Sonne“, das neue Album der Mittelalter-Rocker In Extremo. Ab Herbst soll es auf Tour gehen.

Eigentlich sollte 2020 für In Extremo ein ganz besonders erfreuliches Jahr werden. Deutschlands wohl erfolgreichste Mittelalter-Rockband wollte nicht nur die Veröffentlichung des neuen Studioalbums „Kompass zur Sonne“, sondern auch ein Vierteljahrhundert gemeinsamen Musizierens feiern. Doch gegen Corona helfen auch kein Honigwein und kein Dudelsack – daher wurde zunächst die Platte von Ende März auf den morgigen Freitag und später die gesamte Tournee ins letzte Jahresquartal verlegt.

Umstände, die das eng befreundete Septett hart treffen, wie Sänger Micha Rhein zu Protokoll gibt: „Wir könnten gerade alle im Strahl kotzen und hören uns auch nur, wenn wir Interviews geben. Gesehen haben wir uns das letzte Mal Anfang März im Proberaum. Aber es ist nicht zu ändern. Ich denke auch nicht, dass das im August ausgestanden ist.“ Alle hoffen auf die Nachholtermine, die In Extremo ab Oktober im ganzen Land spielen wollen.

Frische Songs, alte Qualitäten auf „Kompass zur Sonne“

Bis dahin können die Anhänger erstmal Zeit damit verbringen, die neuen Stücke und Texte auswendig zu lernen. Musikalisch betritt die Gruppe gewohntes Terrain. Dudelsack, Schalmei und Flöten treffen auf deftige Gitarrenriffs – die Vorabsingle „Troja“ haben In Extremo ganz bewusst ausgekoppelt, wie Gitarrist Basti Lange verrät: „Wir wollten mit einem etwas brachialeren Song zurückkommen und nicht mit etwas sehr Mainstream-angehauchten.“

Auch interessant

Darauf lässt sich gut feiern (wenn man denn dürfte), genau wie auf den Anti-Kriegs-Song „Saigon und Bagdad“. Für Lange ist dieses Stück aber aus einem anderen Grund wichtig: „Wir prangern da recht deutlich die Amerikaner an, das war unser Anliegen. An dem Thema kommt man ja nicht vorbei.“ Trinklieder, ganz Mittelalter-typisch, gibt’s mit „Reiht euch ein, ihr Lumpen“ und „Schenk nochmal ein“ natürlich auch. Und dann wäre da noch eine Kollaboration, die bei Fans vielleicht für etwas Stirnrunzeln sorgt. Amon-Amarth-Frontmann Johan Hegg leiht „Wer kann segeln ohne Wind“ sein feinstes Growlen. Basti Lange: „Diesmal entstand das in einem Backstage-Saufgelage. Micha hatte Johan dann am Wickel.“

Interessante Wünsche für weitere Zusammenarbeiten

Noch bleiben aber einige Gastwünsche für kommende Platten offen. „Udo Lindenberg wäre ein Traum“, verrät Micha Rhein. Bandkollege Lange schmeißt gar die Hamburger Techno-Rapper von Deichkind in den Raum. Das wäre zweifellos ein Weg, mit dem man die Fanbasis nochmals vergrößern könnte.

Wie stehen die Musiker denn dann zu Shows wie „Sing meinen Song“? Frontmann Rhein hätte nichts dagegen: „Warum nicht? Nehmen wir als Beispiel für sympathische Mainstream-Acts mal Santiano. Bevor ich für deren MTV-Unplugged mit denen gearbeitet habe, dachte ich: ‘Was sind das denn für Spacken?’ Dann hingen wir anderthalb Wochen zusammen und ich muss meine Aussage revidieren und mich dafür 1000 Mal entschuldigen. Das sind klasse Typen.“ Sein Gitarrist hingegen drückt ein wenig auf die Bremse: „Ich bin da hin- und hergerissen. Ich mag das Format an sich, aber mir ist da manchmal zu viel Beweihräucherung untereinander.“

Auch interessant

Einig sind sich die beiden aber bei dem Wunsch, wo die Band eines Tages nochmal live spielen soll. „Rock in Rio wäre echt ein Traum“, sagen sie unisono. Bei früheren Argentinien-Konzerten kamen stets mehrere Fanbusse aus Brasilien angereist – ein Zeichen für das Interesse.

Schielen auf die vierte Nummer eins

Bis auf Weiteres liegt der Fokus aber auf der deutlich größeren Anhängerschaft im Heimatland. Dreimal kletterten In Extremo mit ihren Alben bereits auf den Spitzenplatz der Deutschen Charts. Und auch wenn Verkaufszahlen in ihrer Bedeutung stets sinken: Auf die Hitliste werden Rhein, Lange & Co. einmal mehr schielen. „Es ist auf jeden Fall immer noch eine Auszeichnung. Wir haben nie bewusst danach gestrebt, Platz eins zu erreichen, aber man freut sich ja dann doch sehr.“

Und es dürften auch nicht wenige sein, die In Extremo schon seit vielen Jahren die Treue halten. Mitte der 90er-Jahre transferierte die Band mittelalterliche Musik zusammen mit Subway To Sally und Corvus Corax in die Moderne. Konzerthallen wurden größer und größer, Mittelalter-(Weihnachts-)Märkte und Festivals wie das Mittelalterliche Phantasie Spektakulum (MPS) aus der Taufe gehoben.

Auch interessant

Dudelsäcke faszinieren viele

Auf die Frage, warum die Kultur des Mittelalters eine derartige Renaissance feierte und bis heute populär ist, wissen aber auch In Extremo keine konkrete Antwort: „Das war in den 90ern halt ein Auffangbecken für Andersdenkende, das sich über die Jahre weiterentwickelt hat“, erinnert sich Micha Rhein. Kollege Lange verweist hingegen darauf, dass „viele von den Instrumenten fasziniert sind. Wir treffen oft auf Fans, die eigentlich Gitarre spielen, aber dann sagen, dass sie Dudelsack lernen wollen. Auch hören wir von vielen Metallern, dass sie Harfen mögen.“

Bei In Extremo macht’s seit jeher die Mischung. Bleibt zum Schluss nur noch eine Frage offen: Was passiert nach der Kontaktsperre auf der „25-Jahre-Jubiläumsparty“? Micha Rhein fasst sich kurz: „Klare Sache: Da werden ganz viele Flüssigkeiten auf dem Tisch verstreut sein.“

In Extremo live auf „Kompass zur Sonne“-Tour: 22.10. Bielefeld (Lokschuppen), 23.12. Köln (Palladium). Karten ca. 49 €.