Eine Teamsportart, bei der gleich drei Mannschaften zur selben Zeit gegeneinander antreten: Die gibt es – sie heißt Kin-Ball. Ein Ortsbesuch.
„Omnikiiin …gris!!!“, schallt es durch die Turnhalle. Das Signal! Schnell in die Knie gehen, den Kopf einziehen, bloß nicht den Ball loslassen – und bumm! Nach einem mächtigen Schlag fliegt die Kugel acht Meter durch die Luft, ditscht dann auf. Die gesprinteten, ja sogar gehechteten Rettungsversuche via Fußball-Gedächtnisblutgrätsche von Team Grau – alles vergebens. Punkt für Schwarz und Blau!
Ja, tatsächlich gibt es sie: Eine Sportart, bei der drei Mannschaften gleichzeitig aktiv sind und gegeneinander antreten. Das dem Volleyball in Teilen ähnliche Kin-Ball, abgeleitet vom Wort Kinetik, spielen sie seit Sommer 2018 auf nationalem Top-Niveau beim TC Sterkrade 1869 aus Oberhausen. In einer Schulsporthalle treffen sich die Aktiven des amtierenden Deutschen Meisters jeden Donnerstagabend.
Kin-Ball ist im Schulsportunterricht bewährt
„Seit etwa fünf Jahren breitet sich das Spiel in Deutschland aus“, weiß Trainer und Sportlehrer Artur God (39), der es oft im Unterricht mit Fünft- und Sechstklässlern übt. Die Besonderheit? „Es ist ein extrem kooperatives Spiel. Man muss viel kommunizieren – und alle vier Teammitglieder sind jederzeit Teil des Spiels. Passiv am Rand stehen bleiben funktioniert hier nicht“, sagt God.
Ein Spielzug läuft folgendermaßen ab: Die aufschlagende Mannschaft bespricht zunächst die Aufteilung. Drei der Spieler müssen nach und nach in die Hocke gehen, den Ball halten, die Köpfe senken – und Nummer vier prügelt den Ball möglichst platziert durch die Halle, mindestens 1,80 Meter weit. Stoppbälle wie beim Tennis sind demnach nicht erlaubt, Finten jedoch schon – und korrekt ausgeführt fast ein echter Punktegarant.
Wer nicht (korrekt) ruft, der nicht gewinnt
Aber erst nach einem lauten Ausruf. Dieser setzt sich aus dem Wort „Omnikin“ (so heißt das rund ein Kilo schwere, aber sich dennoch federleicht anfühlende Spielgerät mit 1,22 Meter Durchmesser) und einer von drei Farben, die gemäß der Herkunft des Spiels auf Französisch gerufen wird (siehe „Schon gewusst?“), zusammen.
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Attackieren muss man das jeweils führende Team. Dieses wird aufgerufen (bloß nicht die Farbe verwechseln, sonst gibt’s einen Strafpunkt!), dann schrillen alle Alarmglocken – denn die Riesenkugel darf, egal, wo sie im Spielfeld landet, keinesfalls den Boden berühren. Sonst erhalten beide Gegner einen Punkt. Wer den Ball fängt, macht die vorherigen Jäger im nächsten Spielzug zu Gejagten. Wer als erstes 13 Zähler einfährt, gewinnt.
Zehn Sekunden bis zum Gegenstoß
„Kraft, Koordination und Schnelligkeit sind wichtig“, merkt Artur God an. Auf den Beinen wie im Kopf, denn wer den Ball fängt, darf sich mit seinem Team nur zehn Sekunden Zeit bis zum nächsten Angriff lassen. Wer länger braucht, schenkt den Gegnern einen Punkt.
Beim TC 69 haben sie das Spiel mittlerweile auf hohem Niveau trainiert. Wer loslegen will, braucht aber keine Scheu zu haben, wie Artur God festhält: „Kin-Ball ist sehr schnell erlernbar.“ Tatsache. Letztlich ist das Prinzip absolut intuitiv. Kurze Absprache, ab in die Hocke, Hände an die Kugel, Kopf runter uuuund … Omnikiiiin … bleu!!!
Schon gewusst?
Herkunft: Erfunden wurde das Spiel 1986 von Sportlehrer Mario Demers im französischsprachigen kanadischen Bundesstaat Québec. Bis heute erfreut sich Kin-Ball dort großer Beliebtheit. Die Männer- und Frauennationalteams der Kanadier sind auch amtierende Weltmeister, weitere starke Equipen finden sich in Frankreich und Japan. In diesen Ländern gibt es auch ein umfangreiches Ligensystem.
Bundesliga: Im Gegensatz zu WM und EM treten in der deutschen Bundesliga geschlechtergemischte Mannschaften an. Die Saison besteht aus drei Spieltagen, die an verschiedenen Standorten ausgetragen werden. Für die Austragung eines Spieltags können sich die Klubs bewerben. Zehn Vereine nahmen zuletzt teil, der TC 69 Sterkrade hat sich 2019 den Titel gesichert.
Spielfeld: Gespielt wird Kin-Ball auf einer 20 x 20 Meter großen Fläche, das entspricht ungefähr einem halben Handballfeld.
Kin-Ball für Anfänger: Material, Kosten, Vereine
Wer Kin-Ball in seiner Freizeit spielen will, benötigt neben der Spielfläche (wer keine geeignete Halle findet, der sei beruhigt: der Sport funktioniert bei wenig Wind auch draußen) erstmal das passende Spielgerät. Das gibt’s in verschiedenen Größen zu verschiedenen Preisen. Die aus Nylon und einer Latexblase bestehenden Riesenbälle gibt es ab 84 Zentimetern Durchmesser für ca. 140 Euro, wer den offiziellen Meisterschaftsspielball (Durchmesser: 1,22 Meter) in seinen Besitz bringen will, berappt knapp 300 Euro. Dazu kommen eine elektrische Ballpumpe (500 Watt), eine Punktetafel sowie ein Set aus mindestens zwölf Leibchen. Kombi-Sets für Einsteiger sind im gut sortierten (Online-)Sportfachhandel für ca. 400 Euro erhältlich.
Wer organisiert spielen will, muss unter Umständen etwas weiter reisen. Bundesweit gibt es zurzeit nur zehn Vereine, drei davon sind in NRW zuhause. Neben dem TC Sterkrade 1869 sind auch der ASV Süchteln in Viersen (Training mittwochs von 20 bis 21.30 Uhr) und der TV Odenkirchen in Mönchengladbach (Training montags 19.30 Uhr) aktiv. Das Team des TC Sterkrade 1869, das zuletzt sogar mit sieben Mitgliedern bei der WM in Frankreich vertreten war, trainiert donnerstags von 19 bis 21 Uhr in der Turnhalle der Gesamtschule Osterfeld (Heinestr./Lilienthalstr.) in Oberhausen. „Ein kostenloses Schnuppertraining ist immer möglich, wir freuen uns über Verstärkung“, sagt Trainer Artur God.