Oberhausen. . Drei Teams und ein riesiges Spielgerät: Kin-Ball hat seine ganz eigenen Regeln. Der TC Sterkrade bietet den Trendsport an. Wir haben mitgespielt.
Ich gehe tief in die Knie – dann versuche ich, mich nicht mehr zu bewegen. Meine Arme sind nach oben ausgestreckt, die Handflächen wie zum Gebet geöffnet. Über mir: Eine riesige, schwarze Kugel. Ich ziehe den Kopf ein und schaue nach unten, sehe blassgrünen Linoleumboden und meine ramponierten, knallgelben Turnschuhe. Neben mir kauert Florian, seine Knie in dicke Schoner gehüllt. Um uns herum ist es still. Keine Schritte mehr, keine Absprachen, gespanntes Warten. Gleich wird Artur aufschlagen.
Artur God, graues Leibchen auf schwarzem Shirt, Glatze, Dreitagebart und breites Lächeln, ist deutscher Nationalspieler im Kin-Ball – einer Sportart, die in Deutschland seit einigen Jahren immer mehr Anhänger findet. Der 38-Jährige unterrichtet Sport und Sozialwissenschaften an der Gesamtschule Osterfeld und leitet einmal in der Woche das Kin-Ball-Training des TC Sterkrade 69.
In den 80er Jahren kam Kin-Ball nach Europa
Ein gut 20 mal 20 Meter großes Spielfeld, zwölf Spieler und einen gigantischen, etwa ein Kilogramm schweren Ball – mehr braucht es nicht für den Trendsport, der Ende der 1980er Jahre aus dem kanadischen Québec nach Europa geschwappt ist. „Gerade die einfache Spielidee macht Kin-Ball so besonders“, erklärt God, „man kann sofort einsteigen und lernt extrem schnell dazu.“
An diesem Donnerstagabend haben sich wieder zwölf Kin-Ball-Begeisterte in der Turnhalle der Osterfelder Gesamtschule eingefunden – ich mittendrin. Wir beginnen mit ein paar einfachen Übungen: Laufen, schlagen, passen, rutschen. Die Hauptrolle spielt dabei stets das auffällig große Spielgerät. „Der Ball hat einen enormen Aufforderungscharakter“, weiß auch God. Mir fällt es schwer, mich auf irgendetwas anderes zu konzentrieren. Ich will sofort losspielen, will wissen, wie sich Kin-Ball anfühlt. Nach einer knappen halben Stunde hat unser sympathischer Leiter ein Einsehen. Na endlich, ran an die Leibchen.
Jedes Körperteil zählt
Das Spielprinzip ist schnell verinnerlicht: Drei Viererteams spielen gegeneinander, jedes hat eine eigene Farbe – schwarz, grau oder rot. Das aufschlagende Team legt durch Ausrufen eine Mannschaft fest, die den Ball fangen muss – ohne dass dieser den Boden berührt. Beim Aufschlag halten drei Spieler den Ball fest, der vierte schlägt ihn möglichst so davon, dass er für das Fänger-Team unerreichbar ist. Berührt der Ball den Boden, erhalten die beiden anderen Mannschaften einen Punkt. Die Annahme darf mit jedem Körperteil erfolgen. Das macht Kin-Ball so rasant.
Ich bin im Team mit den grauen Leibchen gelandet, zusammen mit Artur, Florian und Dustin. Team Rot hat inzwischen den Ball, in der Feldmitte machen sich unsere Gegner bereit für den Aufschlag. Kurz stecken sie die Köpfe zusammen, dann geht alles ganz schnell: Zwei von ihnen gehen in die Hocke, halten den Ball, die anderen beiden nehmen Anlauf.
Im selben Moment schallt es durch die Halle: „Omnikiiiiin... gris!“ – der traditionelle Ausruf vor jedem Aufschlag, die Mannschaftsfarben werden gemäß der Herkunft des Spiels auf Französisch genannt. Team Grau ist dran, das sind wir! Stehe ich gut? Hilfesuchend halte ich Ausschau nach Artur, doch der hat nur noch Augen für den Ball.
Laubbläser diente als Ballpumpe
2012 stieß er im Rahmen seines Referendariats auf die so unbekannte Sportart. Weil das Spielgerät im Original rund 250 Euro kostet, bestellte der Sportlehrer ein Replikat in der Schweiz. Um zudem nicht die erforderliche, teure Ballpumpe kaufen zu müssen, baute er kurzerhand ein Laubgebläse um.
Mit dieser Ausstattung initiierte God 2013 einen ersten Kin-Ball-Projektkurs an der Gesamtschule Osterfeld. Weil Schüler wie Lehrer sofort begeistert waren, weitete der 38-Jährige das Angebot aus. Seit diesem Jahr nun gibt es eine Kooperation mit dem TC Sterkrade: Immer donnerstags treffen sich bis zu 15 Kin-Ballerinnen und Kin-Baller in Osterfeld, der Altersschnitt liegt zwischen 30 und 35 Jahren.
„Das Schöne ist das Miteinander“
Zurück auf dem Feld geht es ans Eingemachte: Beide Spieler der roten Mannschaft laufen an, im letzten Moment bremst einer von ihnen ab, legt die Hand an den Ball. Zeitgleich haut der andere drauf. Die riesige Kugel schießt durch die Luft. Artur ruft noch etwas, vielleicht meinen Namen, doch ich bin längst losgerannt, dem schwarzen Ungetüm hinterher. Es fliegt viel schneller als ich laufen kann, in meiner Verzweiflung setze ich zur Grätsche an – und erwische den Ball noch haarscharf mit der Fußspitze. Florian eilt zur Hilfe, mit einem gekonnten Tritt bringt er das Spielgerät unter Kontrolle. Unsere Mannschaftskollegen jubeln.
„Das Schöne an Kin-Ball ist das Miteinander“, verrät mir Hannah nach dem Spiel. Die 30-Jährige ist schon länger dabei, auf der Suche nach einer neuen Sportart war für sie Kin-Ball genau das Richtige: „Hier sind alle in etwa auf dem gleichen Level. Und wo spielen schon drei Teams gegeneinander?“, sagt sie lächelnd. Auch Mitspielerin Kristina schätzt den Teamgedanken: „Beim Kin-Ball ist man nur zusammen gut, einer allein kann wenig ausrichten“, so die 31-Jährige. Gerade für Anfänger ein ermutigendes Fazit – und zugleich einer von vielen Gründen, diese verrückte Sportart mal auszuprobieren.
>>> TC Sterkrade 69 sucht noch Verstärkung
Deutschlandweit bieten bisher nur etwa zehn Vereine Kin-Ball an. Eine offizielle Liga gibt es nicht, die Teams veranstalten jedoch regelmäßig Turniere. In NRW gibt es neben dem TC Sterkrade noch den TV Oden-kirchen (Mönchengladbach) und den ASV Süchteln (Kreis Viersen).
Die Kin-Baller des TC Sterkrade freuen sich über neue Mitspieler. Gespielt wird donnerstags von 19 bis 21 Uhr in der Turnhalle der Gesamtschule Osterfeld. Interessierte können sich unter folgender Email-Adresse melden: kinball@tc69.de.