Wacken. .
Drei Tage Vollgas – und trotzdem keine Spur von Müdigkeit. Obwohl sich das Wacken Open Air dem Ende entgegen neigt, geht die Metal-Party mit unverändert hohem Tempo weiter. Am Samstag setzt die Hattinger Hardcore-Band Caliban Zeichen.
Nachdem Iron Maiden und Alice Cooper am Donnerstag das Festival eröffnet hatten, setzten am Freitagabend die Kult-Thrasher von Slayer einen weiteren Höhepunkt. Und zwar einen sehr lautstarken.
„So eine Druckwelle macht ja nichtmal eine F16.“ Der festivalerfahrene Besucher ist sichtlich beeindruckt. Andere Bands sind laut, Slayer sind lauter. So laut, dass selbst im hinteren Bereich des Geländes die Hosenbeine in den Schallwellen flattern. Die gesundheitlichen Probleme hat Sänger Tom Araya augenscheinlich überstanden – keine Spur mehr von den angegriffenen Stimmbändern, die vor kurzem zu einer für die Fans bitteren Konzertabsage in Bochum geführt haben. Wie in den Anfangsjahren der Band (das war 1983) brüllt sich der 49-Jährige die Seele aus dem Leib, singt von Krieg, Tod und … sagen wir mal eher kirchenkritischen Themen.
Wobei singen nicht ganz richtig ist. Tom Araya spricht melodisch. Ein Stil, der Slayer groß gemacht hat und perfekt zu der harten und schnellen, aber dennoch glasklar und punktgenau gespielten Musik passt. Nur ein Aspekt erinnert noch an die angegriffene Gesundheit des Sängers: Hat Araya bei Auftritten bisher seinen Kopf so heftig geschüttelt und gedreht, dass die lange Mähne wie ein Ventilator wirkte, steht er nun fast bewegungslos auf der Bühne. Nach einer Nackenverletzung haben ihm die Ärzte das Headbangen (wie das Kopfschütteln im Szenejargon genannt wird) strikt untersagt. Damit wird die Show von Slayer noch minimalistischer. Eine nennenswerte Bühnenkulisse gibt es nicht, nur die Lampen blitzen im Takt der Musik und veranstalten ein Lichtgewitter.
Hattinger Hardcore-Band setzt am Samstag Zeichen
Doch viel mehr brauchen Slayer nicht, um eine spektakuläre Show zu liefern. Die Fans auf dem Wacken Open Air wissen das und strömen in Massen vor die Bühne. Nach dem Auftritt von Iron Maiden am Donnerstag ist es der zweite große Ansturm auf dem Festival. Erneut drängen sich gefühlt restlos alle 75.000 Besucher vor der Bühne.
Nach dem Slayer-Auftritt ist Freitagnacht noch lange kein Feierabend. Anvil spielen auf, die nach dem gleichnamigen Dokumentationsfilm gerade einen zweiten Frühling erleben, Cantus Buranus bieten zu nachtschlafender Zeit eine oppulente Mittelalter-Show, vollgepackt mit Spezialeffekten und kompletten Ritterkämpfen auf der Bühne. Eine Festival-Pause? Höchstens ein paar Stunden. Am Samstagmorgen geht das Spektakel weiter und schon in der Mittagszeit setzt die Hattinger Hardcore-Band Caliban das nächste Ausrufezeichen beim Wacken Open Air.
Erstmals „Circle-Pits“ und „Wall of Deaths“ verboten
Doch obwohl die Show bestens läuft und das Publikum auf dem schon wieder vollen Gelände ausflippt, ist Sänger Andreas Dörner nicht ganz zufrieden. Der Grund: Dieses Jahr sind auf dem Wacken Open Air erstmals „Circle-Pits“ und „Wall of Deaths“ verboten. Im ersten Fall setzt sich das Publikum direkt vor der Bühne in Bewegung und rennt immer wieder im Kreis, der aus der Höhe betrachtet wie ein Strudel wirkt. Dabei können unbeteiligte Besucher mitgerissen werden, Verletzungen sind nicht ausgeschlossen. Das gilt erst recht im zweiten Fall, der „Wall of Death“ (übersetzt Wand des Todes). Vor der Bühne teilt sich das Publikum und bildet eine Gasse, die mehrere Meter breit sein kann. Die Menschen stehen sich gegenüber und warten darauf, dass die Musiker mit einem schnellen, aggressiven Songteil beginnen. Dann sprinten die Menschen links und rechts von der Gasse aufeinander los, prallen zusammen.
Was der Reiz an so einem meist schmerzhaften Zusammenprall sein kann, bleibt dem restlichen Publikum verborgen. Eine Antwort nach dem Warum gibt es auch nicht von den Teilnehmern. Es sei halt ein Spaß. Allerdings ein Spaß, der in der Tat nicht der Gesundheit förderlich ist. Umso unverständlicher, dass der Caliban-Sänger sauer auf das Verbot reagiert. Er entschuldigt sich sogar beim Publikum, dass er nicht zu einer Wall of Death aufrufen darf. Indirekt macht er es dann doch: „Tut mir leid. Macht, was euch Spaß macht.“ Weitsicht sieht anders aus.
Geschmack des Publikums getroffen
Doch es ist nur einer von sehr wenigen grenzwertigen Momenten auf dem Wacken Open Air. Wie schon in den Vorjahren feiern die 75.000 Besucher eine gigantische, friedliche Party. „Bei jedem normalen Volksfest gibt es mehr Verletzte“, zieht der Polizeichef am Samstag Nachmittag eine Bilanz. Das Sicherheitskonzept habe voll und ganz gegriffen, die Zahl der Einsätze sei sogar rückläufig.
Bis in den Sonntagmorgen läuft das Festival, den Abschluss werden unter anderem Soulfly, Edguy und die Black-Metaller von Immortal bilden. Den Geschmack des Publikums haben die Macher auch in diesem Jahr getroffen – „von mir aus kann es noch weitere drei Tage so weitergehen“, sagt der 22-jährige Tim, der aus Halver im Märkischen Kreis nach Wacken gefahren ist.
Zufrieden sind auch die Veranstalter: „Es ist alles nach Plan gelaufen und in diesem Jahr haben wir eines der besten Line-Ups der Festival-Geschichte auf die Beine stellen können“, sagt Sprecherin Britta Kock. Das hat zum einen mit Glück zu tun, da Tourpläne und andere Verpflichtungen von Bands berücksichtigt werden müssen. Aber auch harte Arbeit spielt eine Rolle. „Manchmal ziehen sich die Vorbereitungen für eine Band-Verpflichtung über mehrere Jahre hin“, sagt Kock. Und das bedeutet: Die ersten Verpflichtungen für das nächste Wacken Open Air sind schon unter Dach und Fach. Die Überraschung für 2011 verkündeten die Veranstalter Holger Hübner und Thomas Jensen am späten Samstagabend: Nächstes Jahr werden wieder Blind Guardian auf dem Wacken Open Air dabei sein, ebenso Avantasia und Apocalyptica.