Essen. Für ihn gibt es nur zwei Arten von Musik: gute und schlechte. Betin Günes ist einer der wichtigsten Komponisten für neue Musik in der Türkei und Dirigent. Mit Istanbuls Sinfonieorchester kommt er jetzt ins Revier.

Betin Günes ist ein Herr, distinguiert, von diskreter Noblesse, feingliedrige Hände, sanfter Blick. Aber dann spricht er und seine Rhetorik krempelt die Ärmel hoch. „Türkische Musik, das ist nicht nur offenes Autofenster und lautes Gedudel!”

Herr Günes weiß, dass es die Mehrheit ist. Dennoch nennt er das Zeug beherzt „Jaul-Musik”. Herr Günes ist längst nicht auf alles stolz, was in seiner Heimat Lied heißt. Herr Günes ist einer der wichtigsten Komponisten der Türkei.

Volksmusik hier ist leider nicht auf höchstem Niveau

In der Philharmonie

Mit Tschaikowsky

Am 16. November, 20 Uhr, wird das Istanbuler Sinfonieorchester in der Essener Philharmonie zu hören sein.Solist bei Tschaikowskys Klavierkonzert in b-Moll ist der 1984 im sibirischen Irkutsk geborene Ilya Rashkovsky. Außerdem erklingt Strawinskys „Feuervogel".

Karten von 22 - 37 Euro gibt es unter Telefon 0201-81 22 200.

„Ach, Komponist”, sagt er und die feingliedrigen Hände fahren in heiterer Verzweiflung nach oben, „in Deutschland wird man als Komponist geehrt. Da steht man in einer Reihe mit Beethoven oder Schumann. In der Türkei kann ein Komponist auch jemand sein, der Bauchtanzmusik schreibt!” Das ist ein kleiner Witz, aber irgendwie auch ernst gemeint. Echt Günes eben.

Betin Günes, der „waschechte Istanbuler mit allen Macken, die zu einem Bosporuskind dazugehören”, ist auf Deutschlandtournee – als Dirigent. Günes dirigiert das Staatliche Sinfonieorchester Istanbul. Günes selbst hat 13 Sinfonien geschrieben (seine sechste wurde im Essener Saalbau uraufgeführt), aber mit den Istanbulern spielt er nächste Woche in Essens Philharmonie aus seiner Achten bloß Auszüge „Mehr war den Musikern nicht zuzumuten”, sagt er. Ein Witz?!

Betin Günes wird Tschaikowskys berühmtes Klavierkonzert im Gepäck haben, aber Ferit Tüzuns „Esintiler” (Inspirationen) auch. Türkische Musik? „Schwer! Wir haben 75 verschiedene Rhythmen, hinkende nennen wir sie, dazu 300 Tonskalen!” Aber im Grunde – Herr Günes blickt zum Himmel – sei das egal. Musik gebe es auf der Welt am Ende doch nur in zwei Arten: gut und schlecht.

Herr Günes erzählt, dass er als Kölner Musikstudent die Blaskapelle von Bayer dirigiert habe. Du lieber Gott, sagt er und wir wissen nicht, welcher. Aber das Auftreten im Karneval in Stadien, nein, das war dann doch nichts, da hat er es gelassen. Herr Günes singt kurz den Radetzkymarsch und macht am Ende „Bumm”. Naja und Jaul-Musik, die dröhne nicht nur in Istanbul aus den Autos. Deutschland sei ja auch nicht allein Beethoven. „Die Volksmusik hier ist leider nicht auf höchstem Niveau.”

Traum von Kulturlandschaft

Betin Günes komponiert Neue Musik. Aber er möchte beweisen, dass man keine Angst vor Zeitgenössischem haben muss. Dass man „nicht vom Stuhl fällt”, wenn man sie im Konzertsaal erlebt, „drin sitzen und Angst haben – so muss es nicht sein!”

Deutschland – für ihn ein Traum von Kulturlandschaft: „Es gibt Städte, die haben kein Kino mehr. Aber ein Theater, das haben sie noch.” Das müsse man erhalten, sagt Herr Günes und erzählt vom großen Dirigenten Celibidache, mit dem er arbeiten durfte. „Der hat erzählt, wie schon die Bomben fielen und sie immer noch Musik gemacht haben!” „Das”, sagt Betin Günes, „hilft einem Land wieder auf die Beine. Das dürfen wir nicht verlieren.”

Betin Günes, 54, lebt in Köln. In der Türkei ist er oft. Im Konzert dirigiert er mit Vorliebe Sibelius oder Mendelssohn. Und begeisterungsfähig sei das türkische Publikum – sehr. „Ich hab mich wie ein Fußballspieler gefühlt”, hat ihm ein Solist verraten. Man müsse als Zuhörer nicht unbedingt viel wissen, sagt Günes, aber wenn es „die Seele berührt, das wäre ein Anfang!”

Was er mit seinen Istanbuler Musikern Besonderes mitbringt? „Andere Düfte, andere Klangvorstellungen”, sagt Herr Günes und setzt nach: „vielleicht”. Er lächelt – und das Gedudel aus den Autofenstern ist weit, weit weg.