Essen. . Sein Album „XOXO“ ist gerade erschienen, die künftige Single „So perfekt“ immer häufiger im Radio zu hören: Mit unverwechselbarer Stimme hat sich Casper vom Geheimtipp der Szene zur neuen Hoffnung des deutschen HipHop gemausert.
Was macht Casper, wenn er rappt? Ist das Schreien, Krächzen? Speien? Ist das ernst gemeint oder eine Parodie? Wer sein „So perfekt“ zum ersten Mal hört, der mag erst mal irritiert sein. Erst recht, wenn er dann die Person hinter der gepressten, heiseren Stimme sieht. Da blickt ein schmaler Kerl freundlich aus braunen Augen vom Promotion-Foto, trägt Röhrenjeans, Karohemd und Dreitagebart.
Gestatten: Casper alias Benjamin Griffey, geboren als Sohn einer Deutschen und eines US-Soldaten in Bösingfeld in der ostwestfälischen Provinz, aufgewachsen in einem Wohnwagenpark in Atlanta, Georgia. Als Elfjähriger mit der Mutter und den Geschwistern zurück nach Deutschland. Und jetzt: von Musikmagazinen, Fans und seinem Management auserkoren, den deutschen HipHop zu retten.
Keine Pöbeltexte, kein Gangsta-Gehabe
„XOXO“ heißt das Album, das vor wenigen Tagen erschienen ist. Es ist das zweite nach dem längst vergriffenen „Hin zur Sonne“, für den 28-Jährigen aber auch eine Art Debüt im Mainstream. Benjamin Griffey ist angekommen im kommerziellen Musikgeschäft. Bei Amazon ist er der „Künstler der Woche“, 1Live spielt „So perfekt“ rauf und runter, am 22. Juli wird er bei Bochum Total auf der Bühne stehen.
Es läuft also. „XOXO“ ist anders, so wie Casper und seine Stimme anders sind. Keine Pöbeltexte, kein Macho- und Gangsta-Gehabe. Statt stumpfer Beats aus dem Computer gibt es Schlagzeug und Gitarren, Piano und Streicher. Casper lässt die Genregrenzen verschwimmen. Jan Delay hat sich an Disco und Funk bedient, er verrührt Punk mit Hardcore-Rock und Indiepop und rappt dazu.
Der Emo-Rapper
Als Kind, erzählt Vater Arlen Griffey in einem Stück auf dem Album, habe Benjamin gerne Michael Jackson gehört und mitgesungen, schon mit fünf Jahren seine ersten Mixtapes zusammengestellt. Der kleine Ben sei das klügste Kind gewesen, das er kenne, sagt Griffey. Er hätte alles werden können: Arzt, Anwalt, Wissenschaftler.
Benjamin wurde Casper, ohne Tritratrullalla, dafür nachdenklich. „Emo-Rapper“ haben manche ihn genannt und das nicht gerade positiv gemeint. Der 28-Jährige selbst steht zu Gefühlen und Gefühligem in seinen Texten. „XOXO“, an dem er mehr als ein Jahr gearbeitet hat, kommt über weite Strecken autobiografisch daher. „Das Grizzly Lied“ erzählt vom trostlosen Leben im Trailerpark am Rande der Stadt; davon, wie der Vater ein Jahr zu Hause, dann wieder ein Jahr im Krieg war. Von Problemen „fürs Leben zu groß, fürs Sterben zu klein“ – und wie sich Benjamin entschloss, zu kämpfen: „Ich bin ein Grizzly jetzt.“
„Anti alles, für immer“
Casper verpackt aber nicht nur seine eigene Geschichte, sondern zeichnet in „XOXO“ auch ein Bild der „Generation Gott-ist-tot“ – „anti alles, für immer“, ganz neu ist das zugegebenermaßen nicht. Gleich zwei Stücke mit dem Untertitel „Die Vergessenen“ handeln von Perspektivlosigkeit und Wut darauf, in „Die letzte Gang der Stadt“ rappt Casper über Kleinstadt-Tristesse („Und die Top-Fourty-Band spielt das letzte Lied im Schützenheim // Lass die Gläser knall’n - wir sind die letzte Gang der Stadt!“).
Von einigen Reim-dich-oder-ich-fress-dich-Ausnahmen abgesehen („Die Wölfe sind los und wollen das Blut seh’n // lass die Bänder rollen, das Volk will zuseh’n“), gelingt es Casper meist gut, seine Gedanken in Worte zu kleiden, mit seinen Texten Bilder zu malen. Manch’ ein Stück auf „XOXO“ taugte glatt als Soundtrack für einen Großstadtfilm, andere erzählen gleich selbst eine komplette Geschichte.
Die erschließt sich mitunter erst beim zweiten und dritten Hinhören. Wie bei „So perfekt“: Da geht der der typische Schul-Außenseiter („Der, der sich nach vorne setzt“) alleine zum Abschlussball und erobert am Ende doch die Ballkönigin. Und wie? Indem er zu sich steht. „Wenn schon scheiße tanzen“, rappt Casper, „dann so, dass die ganze Welt es sieht // mit Armen in der Luft, beiden Beinen leicht neben dem Beat“. Das ist inhaltlich erfrischend ironisch, aber ganz sicher: musikalisch ernst gemeint. Und gut.