Essen. Ayako Kurokawa ist "das Umblätterwunder". Wie man sich einen solchen Namen verdient? Indem man Notenseiten für Pianisten wendet, immer im rechten Moment und möglichst konzentriert. Die Japanerin beherrscht diese Kunst fast in Perfektion - doch selbst sie kann von Patzern berichten.

Wir treffen Ayako Kurokawa im Café der Mülheimer Stadthalle, zwei Stunden vor ihrem nächsten Einsatz. Sonaten für Klavier und Cello werden erklingen, darunter Rares von Zemlinsky, Birtwistle und Höller. Macht sie das Unbekannte nervös? „Naja“, sagt die Japanerin, freundlich lächelnd, „ein bisschen ängstlich bin ich manchmal schon.“ Die Birtwistle-Variationen seien spät ins Programm genommen worden, „da muss ich wohl ein wenig improvisieren“. Später wird der aufmerksame Beobachter nichts davon merken – intern wird Kurokawa längst das Umblätterwunder genannt.

"Schreckliche Pianistin"

Angefangen hatte alles im Jahr 2002. Für ein Kammerkonzert mit dem Pianisten Alexander Lonquich in der Essener Folkwang-Hochschule suchte das Klavier-Festival eine helfende Hand. Eher zufällig wurde Kurokawa damals von Professor Bloch angesprochen. Sie sagte zu, man kam ins Gespräch. „Inzwischen bin ich pro Saison etwa 15 bis 20 Mal für das Festival im Einsatz. Und das, obwohl ich selbst eine schreckliche Pianistin bin“, raunt sie uns zu.

Wenn das ihre Großmutter gehört hätte. Bei ihr hatte Kurokawa schließlich den ersten Klavier-Unterricht genossen, damals in der fernen Region Aichi, die zwischen Tokio und Kyoto liegt. Doch weit faszinierender fand das junge Mädchen die Arbeit bei einem Flötenbauer, an dessen Musikschule sie zudem lernte. Es sollte die Initialzündung sein, später das Studium der Querflöte zu beginnen. Das schloss sie in Tokio mit Bestnote ab.

Dozentin an der Folkwang-Hochschule

Inzwischen konzertiert sie regelmäßig in einem Trio (Flöte, Cello, Continuo), zusammen mit zwei Japanerinnen, alle fasziniert vom deutschen Musikleben, das sie einst angelockt und schließlich nach Essen verschlagen hat. Kurokawa unterrichtet dort an der Folkwang Musikschule. Und dass sie bisweilen bedeutenden Pianisten beim Spiel assistieren darf, empfindet sie als großes Glück.

Sie genießt es inwendig, nur manchmal zaubert ihr musikalische Schönheit ein Lächeln ins Gesicht. Auf der Bühne, wenn sie mit wachen Augen in die Noten lugt, um den nächsten Einsatz nicht zu verpassen. Und doch können auch dem Aufmerksamsten Pannen geschehen. Ayako Kurokawa erinnert sich: „Einmal, bei Daniel Barenboim, hab ich zu früh geblättert“. Da habe der Meister dann das Papier vehement zurückgeschlagen. Oder es passierte, dass sie die letzte Notenseite wenden wollte, „obwohl das Stück doch schon zu Ende war“. Sie schmunzelt – und eilt hinter die Bühne. Bereit für das nächste kleine Ritual, das sich umblättern nennt.