Essen. Leichter Rost an Santas Schlitten: Bob Dylan überrascht auch eingeschworene Fans - 47 Jahre nach Beginn seiner Karriere singt er auf seinem neuen Album "Christmas in the Heart" Weihnachtslieder.
Je älter ein Künstler wird, umso dringlicher versucht er, in der verbleibenden Zeit noch späte Dinge zu richten. Bob Dylan bespielsweise hat kürzlich erst seine reichlich mitgenommene Stimme für ein Auto-Navigationssystem zur Verfügung gestellt, auf dass er künftig nicht mehr nur im CD-Player steckt, sondern immer auch sagen kann, wo's lang geht.
Here Comes Santa Claus
Als Künstler hat er sich derweil für eine Richtung entschieden, die niemand mit ihm in Verbindung gebracht hätte: Mit „Christmas in the Heart” erscheint morgen Dylans erstes Weihnachtsalbum, knappe 47 Jahre nach seiner ersten Platte als junger Folksänger.
Als Gospelsänger hat er sich ja schon einmal betätigt, damals, als er Ende der 70er Jahre das Christentum entdeckte, „God Gave Names to All the Animals” und andere frohe Botschaften erreichten uns in jenen Tagen auf Platten wie „Slow Train Coming” oder „Saved”. Ein Weihnachtswerk aber war auch damals nicht dabei, das wäre ihm vor drei Jahrzehnten denn doch zu gefühlig vorgekommen. Mit 68 Jahren aber hat ihn nun Altersmilde übermannt, zumal er all seine Erlöse durch diese Arbeit an das World Food Programme der Vereinten Nationen überweisen wird. Es bekämpft den Hunger weltweit.
Für diesen guten Zweck wagt er denn auch so einiges, was man sich bislang nicht ausmalen konnte. So singt er das bewegende Kirchenlied „O Come All Ye Faithful” (Herbei, oh Ihr Gläubigen) teilweise auf Latein und traut sich mit dem stark forcierten Rundgesang „Must Be Santa” aufs beschwingte Parkett der Polka. Vor allem aber wälzt er das „Great American Christmas Songbook”, steuert keine Eingenkompositionen zum Thema bei. Und gleich am Anfang macht er bei „Here Comes Santa Claus” mit Glockenspiel und lieblichem Chor deutlich, dass er alle Ingredienzien liefern wird, die man von einer wärmenden Weihnachtsplatte erwartet.
Peinigender Wohlklang
Allerdings ist da noch seine Stimme und die legt sich nicht selten quer zum peinigenden Wohlklang der Backgroundsänger. Als habe man einen Kobold losgelassen krächzt da dann plötzlich etwas Reibeisenes, abgeschmiergelt in hunderten von Konzerten auf der Never Ending Tour des unsteten Sängers. „Santa Claus comes tonight” kann man mit diesem Timbre schon mal als Warnung verstehen. Und die Kufen des Schlittens in „Winter Wonderland” wähnt man bereits von Rost befallen. Schöne neue Akzente also, die all diesen totgespielten Standards nicht schlecht bekommen. Der weniger bekannte „Christmas Blues” könnte allerdings geradewegs für Dylan geschrieben worden sein. Hier quetscht er liebevoll die Worte heraus wie ein weißer Satchmo und packt sogar seine Mundharmonika wieder aus.
Dass die Platte klingt, wie eine Dylan-Platte eben klingen muss, liegt an der beständigen Begleitband, die den Meister schon seit Jahren begleitet. Und dass die Weihnachtsplatte von einem gewissen Jack Frost produziert wurde, ist kein Gag: Unter diesem Pseudonym regelt Dylan seit langem seinen Sound selbst.