Düsseldorf/Bochum. Im Interview erzählt Toten-Hosen-Sänger Campino von nostalgischen Träumen, einem neuen Körperbewusstsein und von den Entwicklungen in der Musik. Und er gesteht, dass er mal als Blumenverkäufer gearbeitet hat.
Nach Ausflügen zu Theater und Film hat Campino zuletzt wieder das gemacht, wofür die Toten Hosen seit 27 Jahren gefeiert werden: Musik auf der Konzertbühne. Bei der „Machmalauter”-Tour waren die Düsseldorfer in den großen Arenen unterwegs und haben noch eine Tournee durch Lateinamerika angehängt. Mit sechs Weihnachtskonzerten in Düsseldorf verabschieden sich die Hosen nun in eine längere Pause. Zuvor sprach Kirsten Simon mit dem Sänger.
Frage: In Berlin haben Die Toten Hosen neulich ein denkwürdiges Konzert gespielt: In dem kleinen Club SO 36 in Kreuzberg mit den alten Liedern und den Klamotten von früher. War es auch das gleiche Gefühl wie damals?
Campino: Ja und nein. Definitiv kam teilweise das Gefühl von früher wieder hoch. Gleichzeitig glaube ich, dass wir damals nicht so gut waren, weil wir einfach einen anderen Anspruch hatten bzw. gar keinen. Wir haben hobbymäßig Musik gemacht, aber sonst ging es um das Rumhängen und Feiern. Jetzt waren wir konzentriert und haben eine Wucht gehabt, wie wir sie früher allenfalls in den schönsten nostalgischen Träumen gehabt haben, aber nicht in Wahrheit. Wir waren ja handwerklich längst nicht so weit und selten nüchtern.
Dieses Mal hat die Band also sogar mitbekommen, was sie gerade spielt…
Campino: So ungefähr. Früher haben wir uns abgeschossen und sind bei Auftritten meist total alkoholisiert gewesen. Aber das fiel jetzt flach.
Achten Sie mit zunehmendem Alter auf Ihren Körper?
Campino: Ich bin tatsächlich immer körperbewusster geworden. Früher hat mir das nichts bedeutet und ich habe mich auf nichts vorbereitet. Jetzt kann ich in einer besseren Verfassung sein, als ich zwischen 20 und 30 war. Ich habe nichts dagegen, mit dem Fahrrad eine Runde zu drehen oder zum Kickbox-Training zu gehen. Auch wenn meine Fitness für eine Fußballmannschaft auf professionellem Niveau nicht mehr reichen wird.
Wie war es, wieder in den alten Klamotten zu stecken?
Campino: Ach, ich bin froh, dass wir uns von diesem Look befreien konnten. Wir haben damals diese Klamotten angezogen, um uns als Außenseiter zu definieren und um geschmacklich jede Grenze zu unterbieten. Dieser Gedanke hatte sich irgendwann abgenutzt. Es wurde hip, so auszusehen. Ich bin dankbar, dass wir uns mittlerweile mehr über Inhalte definieren.
Ihre Beständigkeit ist erstaunlich. Wie beurteilen Sie die deutsche Musikszene aktuell, ist das Prinzip der Toten Hosen heute noch möglich?
Campino: Es ist zu jeder Zeit möglich, als Kollektiv zusammenzubleiben. Ich prophezeie anderen Bands eine ähnliche Laufzeit. Das hat nichts mit Zeitgeist zu tun, sondern mit der Chemie in einer Gruppe. Wir waren als Teil der Punkszene in einem eigenen Universum, aber im Grunde war Deutschland früher viel England- und Amerika-höriger als heute.
Die deutsche Musikszene ist selbstständiger geworden und gesund. Es gibt lobenswerte Sachen, ob das jetzt im HipHop ist oder in der Rockszene. Man muss sich also keine Sorgen machen.
Wenn Sie heute am Anfang stünden. Würden Sie denselben Weg gehen?
Campino: Das wäre nur dann gedanklich nachzuvollziehen, wenn die Gesellschaft noch die gleiche wäre. Die Stimmung war früher politischer und das Feindbild klarer umrissen. Aber eines kann ich schon sagen: Wir würden auch heute unser Glück als Band suchen, weil uns Musik so viel bedeutet, dass dieses Bedürfnis nicht zu stoppen wäre nur dadurch, dass das keiner kauft. Jahre lang hat keiner unsere Musik gekauft und wir haben trotzdem vor uns hin geklimpert.
Empfinden Sie das als Arbeit, was Sie da treiben?
Campino: Wir gehören zu den Leuten, die ihre Passion haben in der Arbeit, die sie machen. Es ist unsere Arbeit, wenn man Arbeit als Tätigkeit definiert, die das Einkommen gewährleistet.
Haben Sie denn jemals im klassischen Sinn gearbeitet?
Campino: Ich habe alles Mögliche gemacht. Zum Beispiel habe ich als Blumenverkäufer gearbeitet oder bei Mannesmann im Stahlwerk. Das war mit Nachtschicht und ich habe nachvollziehen können, was es bedeutet, tagein, tagaus ein Leben lang dort zu arbeiten.
Machmalauter live
Am27. November erscheinen die Doppel-CD „Machmalauter: Die Toten Hosen - Live”, die DVD/BluRay „Machmalauter: Die Toten Hosen live in Berlin” sowie die limitierte Edition „Machmalauter: Die Toten Hosen Live - Die volle Dröhnung” (inkl. Bonus-DVD „Die Toten Hosen: Auf die harte Tour - Live im SO 36”).
Blöd war mein Job auf einer Erdbeerfarm. Ich habe geackert wie wild und am Ende des Tages haben sie mir fünf Mark in die Hand gedrückt.
Anderes Thema: Die Hosen setzen inzwischen auf Unplugged-Teile und auf ruhigere Töne. Vor 15 Jahren wäre das wohl so nicht möglich gewesen. Wie kommt das?
Campino: Das würde ich nicht so hoch hängen. Einen Abend auf ständig unverändert hohem Energielevel würde ich auf 60 Minuten beschränken. Mehr hält man körperlich nicht durch. Aber mit der Dynamik lässt sich ein Konzert wesentlich länger zelebrieren. Wir haben jetzt bestimmt nicht vor, langsam aber sicher immer lahmer zu werden.
Wie sieht es generell mit ruhigen Momenten aus. Können Sie Stille aushalten?
Campino: Unbedingt, ich bin ein Verfechter der Einsamkeit. Ich bin gerne alleine und kann auch Silvesterabende alleine verbringen, ohne mit der Wimper zu zucken. Ich hatte so eine Situation letztes Jahr. Da hatte ich mir überlegt, mal wieder auf die Glocke zu hauen. Es gab viele Partys, aber am Ende saß ich da und dachte, das passt alles nicht. Dann habe ich mir alleine ein paar Nudeln gekocht. Es war super.