Essen. Rätselhaft und melancholisch ist das Werk des Japaners Haruki Murakami. Pünktlich zu seinem 65. Geburtstag erscheint sein neuer Roman „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“. Damit knüpft er an die Anfänge seines Erfolgs an. Ein Porträt.

Es gibt Farben, die wir nicht sehen können. Sie umhüllen jeden einzelnen Menschen, manche leuchtend und kräftig, andere schwach und gedämpft. Nur wenige Menschen haben die Gabe, diese Farben wahrzunehmen – und zwar um den Preis, bald sterben zu müssen. Dies erzählt ein Jazzpianist einem Studenten in einem einsamen Berghotel; ihr Gespräch dreht sich um die Ewigkeit der Musik, die Liebe schöner Frauen – und den Tod. Die Begegnung der beiden Männer ist nur eine Episode in Haruki Murakamis neuem Roman und doch typisch: Denn zwei Tage später ist der Jazzpianist spurlos verschwunden. Und der Student wird noch lange darüber grübeln, was seine Worte zu bedeuten hatten, in einer Stimmung heiterer Traurigkeit.

Ratlos und melancholisch: So fühlen sich auch Murakamis Leser.

Denn wenn der begnadete Geschichtenerzähler in nur scheinbar schlichten Sätzen von Anderswelten und Sinnsuche, von gefährlichen Geliebten und tanzenden Schafsmännern erzählt, dann sitzen wir millionenfach in einsamen Berghotels und lauschen. Seit Jahren schon gilt der weltweit gefeierte Autor als Anwärter für den Literaturnobelpreis. Kurz vor seinem 65. Geburtstag am Sonntag macht er den deutschen Lesern ein Geschenk: Heute erscheint sein neuer Roman „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“.

Zurück zu den Anfängen

Zuletzt hatte Murakami mit „1Q84“ eine fantastische Weltensaga geschaffen. Jetzt aber kehrt er zu den nur milde magischen Anfängen seines Erfolgs zurück. Seit sich das Literarische Quartett im Jahr 2000 über die erotischen Passagen seines Romans „Gefährliche Geliebte“ stritt (und daran zerbrach), gilt Murakami als Meister tragischer Leidenschaften. Das ist eventuell ein Missverständnis, denn nun verriet Murakami in einem seiner seltenen Interviews (diesmal in der „Zeit“), dass er „sehr schüchtern“ sei und nur ungern Sex-Szenen schreibe – sie stellten aber oft die Verbindung zu jener irrealen Welt dar, die er schreibend bereist: „Sex ist der Königsweg auf die andere Seite.“

Erneut ist es eine schöne, aber auch ganz schön gestörte junge Frau, die das Leben seines Helden Tsukuru Tazaki verwirbelt. Die zarte Pianistin Yuzuki ist Teil seiner Clique, fünf Freunde, die eine magische Vertrautheit verbindet. Und doch hat Tsukuru das Gefühl, anders zu sein – weil er der einzige ist, in dessen Nachnamen keine Farbe vorkommt. Eines Tages eröffnen ihm die Freunde, dass sie ihn nicht mehr sehen möchten. Erst Jahre später forscht er nach dem Grund – und erfährt von Yuzukis dramatischem Flirt mit der Krankheit Tod.

Die vielen Farben der Welt

Tsukurus Pilgerjahren gibt Murakami eine Melodie mit auf den Weg: Das sehnsüchtige „Le mal du pays“ ist ein Stück aus Franz Liszts Pilgerjahren „Années de pèlerinage“. Auch damit knüpft Murakami, der einst als Jazzclub-Betreiber sein Geld verdiente, an frühere Werke wie etwa „Naokos Lächeln“ an. Zudem ist Tsukuru ein geradezu prototypischer Held: Die Einsamkeit des jungen Mannes in der Großstadt und die Details seines kargen, disziplinierten Lebens sind elementarer Bestandteil des Murakami-Kosmos. Murakami schreibt nicht nur gerne über diese meist sportlichen Mittdreißiger, sein von Marathon und Triathlon gestählter Autorenkörper kann auch locker mit ihnen mithalten. Im Buch „Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede“ beschreibt er ausführlich, wie sehr er diese körperliche Arbeit in den Dienst der geistigen stellt.

In seiner Heimat Japan gilt Murakami als (zu) westlicher Autor, was offenbar auch mit Prägung zu tun hat: Seine Eltern waren Lehrer für japanische Literatur, „aus Trotz“ hat er einst vor allem amerikanische und europäische Autoren gelesen. Der restlichen Welt aber springt vor allem der spirituelle Kern seines Werkes ins Auge, der vom jenseitsorientierten Buddhismus beeinflusst scheint. Murakami selbst sagt, er sei nicht religiös. Die Existenz einer zweiten, irrealen Welt aber scheint ihm sicher.

So predigt Murakami das Rätsel, das wundersame Staunen über die vielen Farben der Welt. Seine Romane nennt er selbst lächelnd „Märchen für Erwachsene“: „Jeder will an die Kraft der Liebe glauben. Und an den Schmerz.“

Der Roman „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“ erscheint im Dumont-Verlag (350 S., 22,99 €). Das Ebook kostet 18,99 €.