Leipzig. Dave Eggers, Hilary Mantel, Botho Strauß: Autoren, über die man spricht – und neue Bücher, die Sie keinesfalls verpassen sollten.

Wenn in Leipzig am Mittwoch das große Frühjahrsfest der Buchbranche beginnt, dann werden sich 2000 Verlage aus 43 Ländern präsentieren, sie werden 20.000 Neuerscheinungen mitbringen. Rund 3000 Autoren werden aus ihren Werken lesen: auf Messebühnen ebenso wie in den Buchhandlungen der Stadt, in alten Industriehallen, in Friseursalons oder in der Straßenbahn.

Aber welche der 20.000 Neuerscheinungen sollte man in diesem Frühjahr gelesen haben? Über welche Autoren spricht man in der Branche? Und warum machen alle so ein erschrecktes Gesicht, wenn ein Spaßvogel „Amazon!" oder „E-Book!“ in die Menge ruft?

Drei Autoren, über die man spricht

Einer der Stars in Leipzig wird Dave Eggers sein. Der 42-jährige US-Autor betreibt in Kalifornien eine eigene Schreibschule, er ist Kopf einer modernen Öko-Bewegung – und in seinen Büchern so nah am Puls der Zeit, wie man nur sein kann. Zuletzt schrieb er in „Zeitoun“ über einen US-Bürger syrischer Abstammung, der den Hurrikan Katrina in New Orleans überlebt, der anderen hilft, aufopfernd – und, wie zum Dank, von Terrorfahnder zu unrecht verdächtigt wird. Eine wahre Geschichte. Auch sein aktuelles Buch könnte wahr sein, ist aber ein Roman. Er handelt von einem, der der Globalisierung zum Opfer fällt: Weil jetzt Chinesen Fahrräder bauen, die er einst gefertigt hat. Weite Teile dieses abgedrehten Romans mit dem schönen Titel „Ein Hologramm für den König“ spielen in einer Geisterstadt in Saudi-Arabien: Dort soll der Held König Abdullah dazu bewegen, einen Auftrag an die USA zu vergeben.

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Von Britta Heidemann

Geradezu rückwärtsgewandt dagegen scheint Hilary Mantel – auf den ersten Blick. Die britische Autorin hat mit einem Historienepos zum zweiten Mal den berühmtesten Literaturpreis der Insel, den Man Booker Prize, abgeräumt. „Falken“ ist der zweite Teil einer Trilogie, die dem Leben Thomas Cromwells folgt, dem engen Berater von Heinrich VIII. Dessen fünf Ehen schildert Mantel so unmittelbar, als lägen die Ereignisse nicht 500 Jahre zurück. Im Rausch eines halben Jahres hat Mantel „Falken“ geschrieben, hat den Historien-Roman vom Image der Unterhaltungsliteratur befreit. Und ist gerade dabei, die britische Monarchie zu reformieren. Vor wenigen Tagen las sie ihren Landsleuten die Leviten: Weil sie Kate Middleton auf die Rolle einer Gebärmaschine reduzierten. Als wären wir im Mittelalter!

Autoren, die sich einmischen – wann hatten wir das in Deutschland zuletzt? Ach, damals, als Botho Strauß den „anschwellenden Bocksgesang“ (1993 im „Spiegel“) anstimmte, als er den Deutschen die Deutschen (Ost) erklären wollte und den Stempel „Rechtsintellektueller“ aufgedrückt bekam. Ob es späte Rache ist, dass er heute mit fast niemandem mehr spricht und Bücher schreibt, die kaum einer versteht? Sein aktuelles Werk heißt „Die Fabeln von der Begegnung“, es geht um Zwischenmenschliches, manches ist Altherren-Erotik, anderes traumschön: „Über den breiten Menschestrom am Feierabend entstieg ein Gesicht, aufgeweht wie ein Drache im Herbst...“

Drei Bücher, die sich lohnen

Lange stand deutschsprachigen Literatur im Ruf, schwer verdaulich zu sein. Das hat sich längst geändert. Wenn Eva Menasse etwa einer Frauenfigur, Xane, zu Leibe rückt, dann mit einer Rafinesse, die jeden Satz zum Genuss macht. Aus verschiedenen Blickwinkeln setzt sie das Bild einer Frau zusammen, es erzählen eine Schulfreundin, der Vermieter, eine Ärztin, ein Freund, ein Liebhaber. „Quasikristalle“ ist nur quasi ein Frauen-Roman – einer, wie man ihn sich poetischer, unterhaltsamer und tiefgründer nicht wünschen kann. Er passt auf die Besten- ebenso wie auf die Bestsellerliste – und steht auf beiden.

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„Die Abenteuer des Joel Spazierer“ – das klingt doch irgendwie nach Münchhausen, nach Jobsiade? Tatsächlich hat Michael Köhlmeier uns einen Schelmenroman geschenkt, der Seite um Seite die Gesellschaft von ihren moralischen Hüllen befreit. Denn Joel Spazierer, 1949 in Budapest geboren, weigert sich, die Welt in Gut und Böse zu teilen. Er ist ein charmanter Lügner, ein geistreicher Mörder – und Köhlmeier ein wahrer Künstler, schafft er es doch, uns seinen Helden durch und durch sympathisch zu machen.

Rainer Merkel war immer schon ein großartiger Schriftsteller („Das Gefühl am Morgen“) und ein engagierter Psychologe: zuletzt ging er für die Hilfsorganisation Cap Anamur nach Liberia. Von dort brachte er einen Roman mit, der seine Leser auf verstörend verschlungenen Pfaden auf den afrikanischen Kontinent führt. „Bo“ erzählt die Geschichte dreier Jugendlicher, die sich auf wundersame Weise begegnen und gemeinsam dem Erwachsensein entgegenreisen.

Bücher, die keine Seiten mehr haben

Ina Körner ist 41 Jahre alt, Mutter von drei Kinder – und Bestsellerautorin. Als „Marah Woolf“ hat sie soeben den Preis „autoren@Leipzig“ der Buchmesse erhalten: erstmals ausgeschrieben für Autoren, die ihre Werke selbst im Internet vermarkten. Aus 400 Bewerbungen wurde Woolfs „Mondlicht“-Saga ausgewählt: Über 70 000 Leser begeisterten sich für die Geschichte um Emma und Kaled, die deutlich an die Twilight-Saga angelehnt ist.

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Ein großartiger Erfolg. Und ein dramatischer Trend für die Buchbranche. Denn jeder Autor, der sein E-Books selbst vermarktet, meist über die Plattform Amazon, ist ein Autor weniger, der einen Verlag braucht. Und: Die Verlage fürchten, dass demnächst auch namhafte Bestseller-Autoren zu Amazon wechseln könnten. In den USA bietet Amazon bereits den vollen Verlagsservice inklusive Lektorat und Marketing – und bietet Autoren eine größere Gewinnbeteiligung als üblich. Dadurch könnten demnächst auch deutschen Verlagen ihre Bestseller wegbrechen – mit deren Gewinnen sie bisher die kleine, feine, schwer verkäufliche Literatur quer subventionierten.