Essen. . Das Buch zur schrecklichen Stunde: Michel Houellebecqs Romansatire „Unterwerfung“ hält seiner Heimat Frankreich einen bösen Spiegel vor.
Der Boulevard de Clichy brennt, auf Seite 55 schon, aber dank der Nachrichtensperre erfahren die Franzosen davon wenig: Damit Marine Le Pens Front National bloß kein Kapital aus jenen Bildern schlagen kann, die „maskierte und vermummte Typen, in Schwarz und mit Maschinenpistolen“ zeigen. Frankreich im Jahr 2022 steht vor der Machtübernahme durch die muslimische Partei, bäumt sich ein letztes Mal auf – um sich dann in Michel Houellebecqs neuem Roman nahezu geschlossen zum Islam bekehren zu lassen.
Gerade erschien „Soumission“, so der Originaltitel, in Frankreich, am kommenden Freitag, 16. Januar, auf Deutsch: der Roman zur Schreckensstunde. Doch so sehr der Autor nun wie ein Prophet mit hellseherischer Gabe wirken mag: „Unterwerfung“ ist als Satire angelegt, als ein böser, bitterer Rundumschlag – gegen Muslime, gegen Rechte. Und vor allem gegen eine wertfrei vor sich hin dümpelnde Mitte der Gesellschaft.
Sinnenfreuden des Islam
François ist ein latent sexuell frustrierter, alkoholberauschter Universitätsprofessor in mittleren Jahren und zu Beginn „politisiert wie ein Handtuch“. Eine typische Houellebecq-Figur also. Deren persönliches Wohl und Wehe allerdings hinter Houellebecqs drängenderem Anliegen der hochironischen Diagnose jener Gesellschaft zurücksteht, die vom Islam eher umarmt denn unterworfen wird – die nicht vom Terror radikaler Islamisten bedroht, sondern von den sinnenfrohen Traditionen eines gemäßigten Islam betört wird. Schon zu Beginn schlürft François wie selbstverständlich Pfefferminztee in der Großen Pariser Moschee, speist Artischocken-Lamm-Tajine und wärmt sich abends in der Mikrowelle Chicken Tikka Masala; dies alles vor dem Grundrauschen der anstehenden Wahlen.
Die die muslimische Partei nur deshalb gewinnt, weil sie von den bürgerlichen Parteien unterstützt wird – gegen den gemeinsamen Feind Front National. Dass viele muslimische Funktionäre einst Anhänger der „identitären“ (neofaschistischen) Bewegungen waren, „enthüllt“ François in Gesprächen, zu denen ihn ein sehr tumber Kommissar Zufall führt („Wusste mein junger Kollege mehr, als er mir sagen wollte?“). Richtig viel Mühe mit dem Plot und der Figur hat sich Houellebecq nicht gegeben.
Selbst den Sex, der ihn einst zum „Skandalautor“ gemacht hat, handelt er wie sein Protagonist eher als „Pflicht gegen sich selbst“ ab. Darin seinem literarischen Vorbild aus dem 19. Jahrhundert Joris-Karl Huysmans nicht unähnlich. Dessen Werke über an der Gesellschaft leidende Männer gelten als „Breviere der Dekadenz“; auf Huysmans spirituellen Spuren zieht Literaturwissenschaftler François gar für eine Weile ins Kloster.
Houellebecq will islamkritischen Roman nicht mehr bewerben
Der französische Schriftsteller Michel Houellebecq will seinen islamkritischen Roman "Soumission" (Unterwerfung) zunächst nicht mehr bewerben. Der Autor sei tief betroffen vom Tod seines Freundes Bernard Maris, der bei dem Mordanschlag auf die Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" getötet wurde, sagte Houellebecqs Agent am Donnerstagabend der Nachrichtenagentur AFP.
Nach Informationen des Nachrichtensenders France Info will der Schriftsteller Paris in Richtung eines geheim gehaltenen Orts verlassen. Sein Agent wollte dies laut AFP aber nicht bestätigen.
Der Anschlag auf die Redaktion von "Charlie Hebdo" mit zwölf Toten wurde am Mittwoch am Tag des Erscheinens des Buches verübt. Houellebecq beschreibt darin das Leben in Frankreich unter einem muslimischen Präsidenten. Die Ausgabe von "Charlie Hebdo" vom Mittwoch hatte eine Karikatur über den Autor auf der Seite eins. (dpa)
„Anbetung austauschbarer Ikonen“
Um dann aber doch den Verlockungen zu erliegen, die der Islam für einen Hochschulprofessor bereithält, Geld, eine schöne Wohnung und zwei, drei minderjährige Ehefrauen inklusive. Auch mit diesem Vorurteil räumt Houellebecq auf: Unter der Burka verbirgt sich scharfe Reizwäsche, „Mieder, transparente BHs, Strings mit bunter Spitze“. Und während die gestresste westliche Emanze abends in die Jogginghose steigt und ihr Mann sich irgendwie um den Spaß gebracht fühlt, geht es mit der „ergebenen und gefügigen“ Muslima erst richtig los. Da soll das Abendland keine Angst bekommen?
Aber dies alles stammt, wohlgemerkt, aus dem Mund eines höchst fragwürdigen Zeitzeugen: Die Erzählperspektive und der satirische Stil lassen die Vorwürfe, Houellebecq betreibe rechte Propaganda, absurd erscheinen. Sein beißender Spott gilt eher der Mitte der Gesellschaft, der die eigenen Werte abhanden kamen und deren hoffnungsfroher Nachwuchs höchstens noch elektrisiert ist „von der Anbetung austauschbarer Ikonen: Sportler, Modedesigner, Internetkreative, Schauspieler, Models“.
Was gegen diesen, sagen wir, selbstverschuldeten Ausgang des Menschen aus der Mündigkeit zu tun ist? Vielleicht ist der ehrlichste, am ehesten ernst gemeinte Satz, den Houellebecq seinem François in den Mund legt, einer, der von großer Ratlosigkeit zeugt: „Ich merkte, dass ich wie auf alle anderen Fragen auch auf diese keine Antwort hatte.“
Michel Houellebecq: Unterwerfung. Dumont, 280 S., 16,99 €. Ab 16. Januar im Handel