Essen. . „Prisoners“ ist ein hochkarätig besetzter Thriller mit Tiefgang. Der Zweieinhalb-Stunden-Film mit Hugh Jackman und Jake Gyllenhaal gehört zu den Oscar-Kandidaten. Das vielschichtige Drehbuch bleibt unter Denis Villeneuves dynamischer Regie bis zur letzten Minute spannend.

Das Filmfest in Toronto ist Anfang September die erste Leistungsschau von ernstzunehmenden Kandidaten für die kommende Oscar-Verleihung. Der Film, der in diesem Jahr das Interesse von Kritik und Publikum am stärksten bündelte, war „Prisoners“ – ein Kriminalfilm mit psychologischem Tiefgang und außerordentlich aufspielender Starbesetzung.

Alles sieht nach einem gemütlichen Abend unter Freunden aus, als das Ehepaar Keller und Grace Dover (Hugh Jackman und Maria Bello) sich mit seinen Kindern zum befreundeten Ehepaar Franklin und Nancy Birch (Terrence Howard und Viola Davis) aufmacht, um dort gemeinsam Thanksgiving zu feiern. Die beiden kleinsten Töchter der Familien gehen vor dem Essen noch einmal vor die Tür – und kommen nicht zurück. Man fürchtet, dass die Kinder Opfer einer Entführung wurden und schaltet die Polizei ein.

Unter Folter soll der Mann gestehen

Die Polizei macht bald einen jungen Mann (Paul Dano) als potenziellen Täter aus, der aber beharrlich schweigt und gegen den Rat des ermittelnden Detektivs Loki nach 48 Stunden wieder auf freien Fuß gesetzt wird. Keller Dover kann den Mann aufspüren und sich seiner bemächtigen. In einem verlassenen Haus setzt er ihn fest und versucht unter Folter, ein Geständnis zu erzwingen. Die Polizei stößt derweil auf eine Spur, die in eine ganz andere Richtung weist.

Die Randbereiche einer gesichtslosen Großstadt aus dem amerikanischen Hinterland Pennsylvanias bilden die wenig glamouröse Kulisse für einen Psychothriller, der Ansprüche auf Hochspannung à la Thomas Harris mit der dichten Milieuzeichnung Dennis Lehanes und dem psychologischen Tiefgang Friedrich Dürrenmatts im Gewand eines höchstkarätig besetzten Independent-Films großräumig zufriedenstellt.

Immerhin gönnt sich der kanadische Filmautor Denis Villeneuve (sein melodramatisches Politdrama „Die Frau, die singt“ war vor drei Jahren für den Oscar als bester Auslandsfilm nominiert) in seiner ersten US-Produktion fast zweieinhalb Stunden Spielzeit für das parallel verlaufende Psychogramm zweier Männer, deren einzige Gemeinsamkeit es ist, dass sie sich in das Erreichen eines Ziels verbeißen.

Aber während Jake Gyllenhaal seinen Detective (in Anlehnung an seine Rolle in David Finchers „Zodiac“) sich ganz in der professionellen Einsamkeit seines Berufs verlieren lässt, verirrt sich Hugh Jackman als hemdsärmeliger Familienmensch mit aufbrausendem Temperament zusehends im manischen Aktionismus der Selbstjustiz.

Nicht einmal die extreme Länge stört

Wenn es darum geht, die Familie zu schützen, muss ein Mann eben tun, was nötig ist. Die archaische Denke aus alten Pioniertagen scheint unabänderlich ins amerikanische Selbstverständnis gebrannt. Villeneuve findet dafür bestürzende Bilder, die den verzweifelten Vater zu einer der interessantesten, bemitleidenswertesten, aber auch abstoßendsten Filmfiguren machen, die es in diesem Kinojahr zu erleben gab.

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Das vielschichtige Drehbuch bleibt unter Villeneuves dynamischer Regie auch deshalb bis zur letzten Minute spannend, weil alle Figuren bis in die Nebenrollen hinein sinnvoll eingebunden und dank prominenter Ensembleleistung (spät, aber furchterregend greift auch noch Melissa Leo ein) intensiv ausgestaltet sind. Nicht einmal die extreme Länge kann diese emotionale Achterbahnfahrt beeinträchtigen. Dies ist in der Tat ein sehr guter, ein Oscar-würdiger Film.
Wertung: fünf von fünf Sternen