Essen. Filme mit einer Länge von zweieinhalb Stunden, das sind meist Blockbuster, die viel Zeit brauchen, um ihre Spezialeffekte ausbreiten zu können. Derek Cianfrances „The Place Beyond the Pines“ mit Ryan Gosling und Bradley Cooper braucht diese Zeit, weil er gleich drei Geschichten erzählen will.
Es ist doch tröstlich, dass selbst im atemlosen Kinobetrieb Hollywoods immer noch Talente sichtbar werden, auf deren Filme man gespannt sein darf. Derek Cianfrance ist so einer. Schon mit seinem zweiten Kinofilm, dem intensiven Ehedrama „Blue Valentine“, hat er es zu Oscar-Nominierungen gebracht. Nun weitet er das Spektrum mit „The Place Beyond the Pines“ um ein Vielfaches, überrascht mit einem höchst personenreichen Film, mit drei ineinander verzahnten Geschichten und einem sehr pessimistischen Fazit: Das Unglück, so kann man hier herauslesen, pflanzt sich gern innerhalb einer Familie fort.
Man muss den Menschen folgen, um sie zu erkennen
Es ist ein Film, der nicht schnell etwas preisgibt, dessen Figuren entdeckt werden wollen. Wenn man zu Beginn etwa Luke (Ryan Gosling) dabei beobachtet, wie er sich offensichtlich für die Arbeit anzieht, dann weiß man noch rein gar nichts von ihm. Wir müssen uns erst an seine Fersen heften, müssen einer Kamera folgen, die in einer langen, ungeschnittenen Sequenz uns ans Ziel bringt. Luke ist Stuntfahrer in einer Motorradshow, bei der drei Biker in einer ballonförmigen Kuppel sehr reaktionsschnell jede Kollision vermeiden sollen.
Wer Motorrad fahren kann, der kann auch Banken ausrauben
Wie die Motorräder, so kommt auch der Film allmählich in die Gänge. Es wird für Luke ein aufregender Tag, denn nach dem Auftritt trifft er seine alte Flamme Romina (Eva Mendes), die ihn darüber aufklärt, dass er Vater eines einjährigen Sohnes ist. Der Stuntfahrer, der in seiner Jugend nie Elternliebe erfahren hat, beschließt sofort, sich seiner Verantwortung zu stellen – obwohl Romina inzwischen mit dem Afro-Amerikaner Kofi einen neuen Partner hat. Ein Kind kostet Geld, das weiß auch Luke, und ganz pragmatisch tut er nun, was er am besten kann: Mit einem erfahrenen Kumpel als Absicherung und seinem Motorrad als Fluchtfahrzeug überfällt er regelmäßig Banken, um Romina zu unterstützen.
Cianfrances Film ist nun schon fast eine Stunde alt, als endlich Bradley Cooper ins Spiel kommt. Der verkörpert den Polizisten Avery, und man kann sich gut ausmalen, wie seine erste (und letzte) Begegnung mit Luke ausfallen wird. Für seinen korrupten Kollegen DeLuca (Ray Liotta) ist dieser unbescholtene Cop jedoch eine ständige Provokation, weshalb er ihn mit allen Mitteln hineinziehen will in seine schmutzigen Geschäfte. Wie die Dinge sich ordnen, das sieht man nach einem Zeitsprung von 15 Jahren, wenn wir Avery wiedertreffen und er auf dem besten Weg ist zu einem politischen Amt.
Zwei Genrefilme in einem sind noch lange nicht genug
Eigentlich hat der Betrachter nun bereits einen Bankräuberfilm und einen Film über bestechliche Cops hinter sich, was schon mal zwei respektable Genrestücke ergibt. Dass man sich dabei nie atemlos bedient fühlt, liegt am Rhythmus des Films und an der Gelassenheit, mit der Cianfrance in seinem zweieinhalb Stunden langen Film dem Faktor Zeit begegnet.
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Der sorgt denn auch dafür, dass „The Place Beyond the Pines“ (der englische Name für den indianisch benannte Handlungsort Schenectady im Staat New York) noch ein drittes Mal abheben kann. Lukes Sohn Jason (Dane DeHaan), inzwischen 16, befindet sich auf Identitätssuche und will eigentlich mehr über seinen unbekannten Vater erfahren. In AJ (Emory Cohen) meint er, einen Seelenverwandten getroffen zu haben, mit ihm hängt er ab, probiert Drogen. Tatsächlich aber ist AJ Averys Sohn, und als Jason das erfährt, droht die Situation zu eskalieren.
„Die Sünden der Väter bis ins dritte und vierte Glied rächen"
Man fühlt sich an die Bibel erinnert, wo es in den Erläuterungen zu den Zehn Geboten heißt, dass Gott „die Sünden der Väter an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied“ rächen werde. Die kunstvolle Konstruktion von Cianfrances Film mag auf diesem Zitat gründen. Wem sie zu künstlich erscheint, zu sehr mit den Zufällen jonglierend, sollte an die Griechische Tragödie mit all ihren familiären Verwachsungen denken. Da wirkt Cianfrances Generationendrama geradezu leichtfüßig.