Berlin. Quentin Tarantino und Brad Pitt waren nach Berlin gekommen, um die Nazijäger-Posse „Inglourious Basterds” vorzustellen. Star des Films aber ist ein anderer: der Österreicher Christoph Waltz spielt Hollywood an die Wand.
1000 Schau- und Zeigelustige und gut 2000 geladene Gäste, darunter viele Klatschspalten-Existenzen, ließen sich bei der Deutschlandpremiere in Berlin vom wunderwahnsinnigen Tarantino bei der Deutschlandpremiere in Atem halten. Denn was der Erschaffer von „Pulp Fiction” oder „Kill Bill” sich da ausgedacht und in den Studios von Potsdam-Babelsberg über Monate in die Tat gehext hat, das glaubt man erst, wenn man es gesehen hat.
Das Kinn von Herrn Waltz
Inglourious Basterds
Deutscher Kinostart: 20.08.2009
Regie: Quentin Tarantino
Darsteller: Brad Pitt, Diane Kruger, Mélanie Laurent, Christoph Waltz, Daniel Brühl, Mike Myers, Til Schweiger u.a.
Unter dem strammen Regiment von Aldo Raine (Brad Pitt), einem Minenarbeiter aus den Bergen von Tennessee, bringen die amerikanisch-jüdischen „Basterds” im Zweiten Weltkrieg im deutsch besetzten Frankreich nicht einfach nur verhasste Nazis zur Strecke, wenn sie auf sie treffen. Nein, sie prügeln ihnen mit Baseballschlägern ihr völkisches Bewusstsein aus dem Schädel. Sie skalpieren sie - wirklich. Sie nehmen ihnen Stiefel, Eisernes Kreuz und Goldzähne als Trophäen ab. Sie verbreiten unter ihnen Angst und Schrecken und so manches unübersehbare Andenken auf der Stirn. Dabei ist es ganz entschieden ein Kinn, das nach 155 Minuten Film am längsten in Erinnerung bleiben wird: das Kinn von Christoph Waltz.
Mag Bruno Ganz sich als untergehende Bunkerbestie alle Mühe gegeben und Helge Schneider sich als Führerkasper nach Kräften verrenkt haben – kein Schauspieler ist uns mit seiner diabolischen Explosivität und leisen Grausamkeit zuletzt als Leinwand-Nazi so unter die Haut gefahren wie dieser Hans Landa.
Die Töchter und die Kühe
Waltz spielt den SS-Offizier als charmantes Verhör- und Terrormonster, dass es einem den Atem verschlägt. An der Stelle des Österreichers hätte auch Leonardo DiCaprio stehen können, der erst für die tragende Rolle favorisiert war; Brad Pitt wird an die Wand gespielt. Aber dann sieht man die erste Szene dieses überraschend reflektierten, dialogstarken und mätzchenarmen War-Westerns und weiß: der Kopf dieser gewagten Weltkriegs-Neuschreibung ist Christoph Waltz. Gleich anfangs sitzt er am Tisch eines französischen Kollaborateurs, trinkt Milch, lächelt und umsäuselt mit lämmchenfrommem Lächeln die Leistungen des Hausherrn: ”Auf die Töchter und die Kühe. Bravo!”
Das Kino besiegt die Wirklichkeit
Im nächsten Moment, der Killer mit Manieren hat die Farbe gewechselt, dass es einen fröstelt, perforieren Maschinengewehrsalven den Holzboden, unter dem sich jüdischen Flüchtlinge versteckt hielten. Nur eine entkommt: Shosanna Dreyfus (Melanie Laurent), die mit dem leutseligen Landa später in Paris noch einen Strudel zu knabbern hat. Ihr Kino wird zur Zentrale des Widerstands. Dort wird Quentin Tarantino am Ende mit den Mitteln von Trash, Fiktion und brennenden Filmrollen bewerkstelligen, was der „Operation Walküre” versagt blieb.
„Operation Kino”, das Attentat, funktioniert: Hitler (wunderbar: Tatort- und Theaterberserker Martin Wuttke) und Göhring sterben in den Flammen. Das Kino besiegt die Wirklichkeit. Ein Film korrigiert die Geschichtsschreibung. Das ist Tarantinos kühnster Regie-Gedanke. Neben der Idee, den zum Fürchten freundlichen Österreicher Waltz zum gefürchteten Judenjäger zu machen. Sehen Sie selbst – ab dem 20. August.