Essen. Der einzige Weg, einen Traummann zu treffen, könnte der sein, ihn sich auszudenken. Und wer dafür nicht genug Fantasie hat, bekommt im Kino jede Menge Inspiration. Der neue Trend: keusch, aber sexy. Dritter Teil der Serie über fantastische Männer.

Wir haben Träume. Und die Kinoleinwand ist die Projektionsfläche, auf der diese einen Moment lang Wirklichkeit werden. Actionhelden erledigen zwar nach wie vor ihren Job, aber die Zeit der wilden Kerle scheint passé. Es gibt genügend Platz für Saubermänner und Sensibelchen, die das Begehren der Frauen durch sexuelle Abstinenz steigern oder selbstlos erfüllen. Gute Zeiten für weibliches Wunschdenken.

„Neue Idole im Kino: keusch, aber sexy“, brachte es die Filmjournalistin Doris Kuhn vor ein paar Monaten in einem Artikel auf den Punkt. Sie stellt darin fest, dass sich das „Jungmädchen-Beuteschema“ geändert habe: „Statt Draufgänger und Machos erobert ein neuer Männlichkeitstyp die Leinwand und die Herzen der weiblichen Fans.“ Der Schauspieler Robert Pattinson in der Vampir-Romanze „Twilight – Bis(s) zum Morgengrauen“ („androgyn und wortkarg, oft steht er poetisch im Wald herum“) und Zac Efron in der Komödie „17 again“ („der nette Bursche von nebenan“) werden hier als die Prototypen dieser neuen Welle ausgemacht. Die eigentlich nicht ganz so neu ist, weil im Kosmos männlicher Leinwandstars schon immer ausreichend Platz vorhanden war für zurückhaltende Exemplare dieser Gattung.

Von Leidenschaft verzehrt

Beispielsweise für den einfühlsamen Leonardo DiCaprio in „William Shakespeares Romeo + Julia“ oder in „Titanic“. Wer vergisst jemals, wie er sich nach dem Untergang des Schiffes blau gefroren an einem Holzstück festklammerte, auf dem seine geliebte Rose (Kate Winslet) in den kalten Fluten schwamm? Oder der schwer entflammte Ralph Fiennes in „Der englische Patient“ oder „Der ewige Gärtner“, der von seiner Leidenschaft für die jeweilige Protagonistin buchstäblich verzehrt wird. Und auch der schmalgliedrige Adrien Brody als Kleinkrimineller und sensibler Schriftsteller in spe in „Love the Hard Way“ markiert nur nach außen den Mistkerl.

Auf dem Münchner Filmfestival konnte man sich dieser Tage bei der Deutschlandpremiere von „Two Lovers“ davon überzeugen, dass Joaquin Phoenix in seiner Rolle wirklich alles für seine Nachbarin (Gwyneth Paltrow) opfern würde. Aber das wussten wir eigentlich schon seit seiner kongenialen Verkörperung von Johnny Cash in „Walk the Line“. Dort macht er seiner zukünftigen Frau auf der Bühne einen ergreifenden Heiratsantrag. Von einer geheimnisvollen Aura umgeben ist auch Keanu Reeves, der – ebenso wie Pattinson in seiner Figur des Edward Cullen in „Twilight“ – das vorwiegend sprachlose und dekorative Verweilen im Raum in einigen seiner Filme perfektionierte. Aber der körperlichen Liebe entsagen all diese Leinwandhelden im Film – bis auf Pattinson – zumeist nicht.

Sexy, sensibel und selbstlos im Bett

Mit der Zeile „Sexy, sensibel und selbstlos im Bett“ kam im Juni dieses Jahres der amouröse Nachschlag zum Thema von der britischen Tageszeitung „The Guardian“. Die Autorin Catherine Shoard hatte auf dem Filmfestival in Cannes eine neue Sorte Leinwandhelden im Wettbewerb ausgemacht: sorgfältig frisiert, kultiviert, mit einer Vorliebe für Blumen und liebevoll im Umgang mit Kindern. Die Autorin bezog sich auf drei Schauspieler in ihren jeweiligen Rollen: den in Deutschland geborenen und in Irland aufgewachsenen Michael Fassbender (in „Fish Tank“ von Andrea Arnold), den Briten Ben Wishaw (in „Bright Star“ von Jane Campion) und den Spanier Sergi López (in „The Map of the Sounds of Tokyo“ von Isabel Coixet).

Der weibliche Blick im Kino, der ein die körperlichen Vorzüge des anderen Geschlechts bewusst ein- und abschätzender ist, fällt also zurzeit einerseits auf aparte, sich der körperlichen Liebe entziehende Jungspunde. Deren sexuelle Abstinenz steigert das unterschwellig weiter vorhandene Begehren ins Unendliche. Eine Retourkutsche, nachdem Sex seit Jahren auf allen Kanälen und im Kino bis zum Erbrechen gezeigt wurde? Auf jeden Fall ein reizvolles Vorspiel vor dem verzögerten Höhepunkt - der aber in der Moral dieser Filme durch einen Trauschein legitimiert werden muss.

Zum Traualtar gezerrt

In seiner Rolle als Mike predigt Zac Efron in „17 again“ die Enthaltsamkeit vor der Ehe. Ebenso wie die Beststellerautorin Stephenie Meyer, die den sexuellen Akt zwischen Bella und ihrem geliebten Edward im vierten Band der „Twilight“-Saga zwar zulässt – aber erst, nachdem der Vampir seine Freundin buchstäblich zum Traualtar gezerrt hat. Andererseits widmet sich ein weiterer großzügiger Männertypus auf der Leinwand ähnlich passioniert wie einst der Stummfilmstar Rudolph Valentino den Bedürfnissen der Frauen. Weibliches Wunschdenken findet somit im aktuellen Kino ein breites Repertoire männlicher Idole, die jeweils auf ihre Weise das Begehren anfachen.

Noch einfacher wäre es, sich den Traummann gleich selbst zu schaffen. Wie etwa die Bankangestellte Amanda Price in dem TV-Vierteiler „Lost in Austen“, der auf DVD erhältlich ist. Sie greift in tristen Momenten des Lebens zu den Romanen von Jane Austen als Medizin. Schon ein paar Seiten aus „Stolz und Vorurteil“ können sie darüber hinwegtrösten, dass ihr Freund einen Antrag mit der Bierflasche in der Hand machte und deren Verschluss als Ehering herhalten musste. Als plötzlich aber die Heldin des Romans, Elizabeth Bennet, in ihrem Badezimmer steht, glaubt Amanda, dass sie wegen ihrer Lektüre halluziniere.

Trotzdem geht sie durch die verborgene Tür in der Wand – und landet im Heim der Familie Bennet und in der Szenerie von „Stolz und Vorurteil“. Da sich das Portal schließt, genießt Elizabeth, für die Zuschauer unsichtbar, die Errungenschaften der Moderne, während Amanda fortan im 19. Jahrhundert weilt. Dort lernt sie nicht nur Familie Bennet, sondern auch den Mann aus ihren (Buch-)Träumen kennen: Mr. Darcy. Der Werktreue des Romans kann Amanda durch ihre Zeitreise nicht gerecht werden. Die Figuren verhalten sich abweichend vom Original und verschaffen ihr – neben einigem Ärger – einen postmodernen Moment. Amanda bittet nämlich Mr. Darcy, mit Hemd und Hose bekleidet in einen Teich zu steigen – eine Reminiszenz an die Kultszene aus der BBC-Verfilmung von 1995.

Reines Wunschdenken

Mehr Sehen

Auf DVD gibt's zum Beispiel

Lost in Austen. GB 2008. Regie: Dan Zeff. Darsteller: Jemima Rooper, Gemma Arterton, Hugh Bonneville. Laufzeit: ca. 185 Min. Anbieter: KSM

Miss Austen Regrets. GB/USA 2008. Regie: Jeremy Lovering. Darsteller: Olivia Williams, Greta Scacchi, Hugh Bonneville. Laufzeit: 85 Min. Anbieter: KSM

Hier lässt die Vampirjägerin Buffy den Blutsauger Edward alt aussehen: „Buffy vs Edward (Twilight remixed)“ von Jonathan McIntosh

Mehr zu lesen gibt's bei Sabine Horst/Constanze Kleis (Hg.): Göttliche Kerle. Männer – Sex – Kino, erschienen im Bertz-Verlag.

„Hören Sie, das ist Jane Austen, die sich im Grab umdreht wie eine Katze im Wäschetrockner“, heißt es in einer Szene der britischen Miniserie, als der Schlamassel den Höhepunkt erreicht. Austen-Puristen werden dem zustimmen. Letztlich durchlebt Amanda aber eine Fantasie, von der Frauen weltweit träumen: in die Romanseiten einzutauchen und an Stelle von Elizabeth Bennet den stolzesten aller Männer zu bezwingen.

„Der einzige Weg, einen Mann wie Mr. Darcy zu treffen, ist, dass man ihn erfindet.“ Diese Zeilen werden der literarischen Schöpferin des Frauenschwarms in dem heiter-melancholisch Film „Miss Austen Regrets“ in den Mund gelegt. Tagebucheintragungen, Briefe und Romanfragmente von Jane Austen bilden den Fundus der fiktiven Annäherung an die letzten Lebensjahre der Schriftstellerin, in denen ihre Gedanken und Notizen um Freiheit und Sicherheit kreisen. Unverheiratet trifft sie mit Ende 30 einen Mann, bei dem sie ins Schwärmen gerät. Als „eine Art wundervolles, unbeschreibliches Geschöpf auf zwei Beinen, eine Mischung aus einem Mann und einem Engel“ charakterisiert sie ihn.

Womit wir erneut bei Bella und ihrem (noch) sexuell enthaltsamen Edward aus „Twilight“ angelangt wären. Diese hätte es nicht schöner als die fiktive Jane Austen formulieren können, wenn sie ihren Freund in „Bis(s) zum Morgengrauen“ als „gottgleiche Kreatur“ beschreibt. Weibliches Begehren bedient sich eben auch in modernen Zeiten aus dem Fundus des 19. Jahrhunderts. Was noch keiner Frau geschadet hat, solange sie im Blick behält, dass im Alltag die Heiratsanträge zumeist mit der Bierflasche in der Hand gemacht werden.