Essen. . „Love and Mercy“ erzählt die tragische Leidensgeschichte des musikalischen Genies Brian Wilson, der tief stürzte und wieder zurück ins Leben fand.
In Bezug auf sein Privatleben muss man den Klangschöpfer Brian Wilson heute wohl als die große tragische Erscheinung der Pop-Musik einordnen. Doch im Hinblick auf sein musikalisches Werk bekommt man es mit Klängen zu tun, die man in solcher Schönheit und ausgefeilten Präzision im Bereich der populären Musik wohl kein zweites Mal antreffen wird. Mit Bill Pohlads Biopic „Love and Mercy“ haben wir jetzt einen Film, der dem Genius des einstigen Beach-Boys-Mastermind Brian Wilson in jeder Beziehung gerecht wird, weil auch er ungewöhnliche Wege in der Erzählstruktur geht. Statt gradlinig vom Leben Wilsons zu erzählen, verschränkt Pohlad lieber zwei Zeitebenen miteinander, in denen wir den Musiker an wichtigen Wendepunkten seines Lebens sehen.
Verblüffend ähnlich: Paul Dano
Der Film beginnt Mitte der 1960er Jahre, als die Beach Boys den Zenit ihrer Popularität erreicht haben. Brian Wilson (verblüffend in Ähnlichkeit und Ausdruck: Paul Dano), führender Songschreiber der Gruppe, hat sich musikalisch längst verabschiedet von den alten Songs um Meer, Surfen und rasante Autos. Mit Blick auf den immer artifizieller werdenden Sound der Beatles träumt er inzwischen vom „größten Album, das je gemacht wurde“. Seine Teilnahme an den Tourneen hat er mittlerweile aufgegeben, nun sitzt er an der Arbeit für „Pet Sounds“.
Wie er dann im Studio mit den Spitzenkräften der damaligen Musikerzunft nach neuen Tönen sucht, das ist von der fast dokumentarisch anmutenden Inszenierung her schier ein Ereignis. Wilson überrascht dabei die Profis immer wieder, indem er Dinge wie Autohupen und Hundegebell wie selbstverständlich in den Sound integriert oder mit Hilfe von Haarklammern Instrumente manipuliert. Die Beach Boys selbst werden später eigentlich nur noch als vokales Material gebraucht.
Schon jetzt spürt man, dass Brian die Hürden, die er sich gesetzt hat, nur noch mit Aufputschmitteln und Drogenkonsum bewältigen kann. Hinzu kommt der wachsende Streit mit seinem Vater Murray und der beginnende Ärger mit Cousin Mike Love, der die komplizierter werdenden Harmonien als Kassengift betrachtet und sich zurücksehnt nach den alten Zeiten. Als der rastlose Sound-Tüftler mit dem Album „Smile“ sein bisheriges Werk dann noch einmal überbieten will, ist der mentale Zusammenbruch nicht mehr aufzuhalten.
Ein psychisches und physisches Wrack
Zwischen all diesen Ereignissen hat uns Bill Bohlad bereits mehrfach in die beginnenden 90er Jahre geschickt, wo Brian Wilson nun in Gestalt von John Cusack erscheint, der so gar keine Ähnlichkeit mehr aufweist, dafür aber umso überzeugender ein physisches und psychisches Wrack präsentieren kann. Brian lebt inzwischen unter der Vormundschaft des hier sehr diabolisch gezeichneten Psychiaters Eugene Landy (Paul Giamatti), der seinen Patienten mit zu hoher Medikamentendosierung unter Kontrolle halten will. Doch der Wind scheint zu drehen in Gestalt der Autoverkäuferin Melinda Ledbetter (Elizabeth Banks), in die Brian sich verliebt und die daraufhin alles daransetzt, der Methode Landy ein Ende zu bereiten.
Paul Dano und John Cusack
Paul Dano spielt Brian Wilson als jungen Beach Boy in den
60er Jahren. Dano wurde durch seine Rolle als Teenager in der preisgekrönten Tragikomödie „Little Miss Sunshine“ (2006) bekannt.
Den Part des psychotischen Wilson in den Achtzigern übernimmt John Cusack (High Fidelity).
„Love and Mercy“ sollte man nicht als Film für Fans abtun. Pohlad, bisher vor allem ein erfolgreicher Produzent („12 Years a Slave“), beweist hier, dass er auch hinter der Kamera bestehen kann. Aber das alles wäre nichts ohne den Soundmix dieses Films, der die Zuschauer mit der breiten Musikauswahl beinahe in einen Schwebezustand versetzt und süchtig macht nach dem Werk eines Brian Wilson. Wenn man den dann höchstpersönlich über den Abspann den Titelsong singen sieht, spürt man eine Beruhigung, dass es ihn trotz allem noch gibt. Ganz der Alte aber ist er wohl nie wieder geworden.
Wertung: Vier von fünf Sternen