Essen. . Mit “American Sniper“ knüpft Clint Eastwood an den Erfolg seiner anderen Regiearbeiten an. Bradley Cooper spielt einen innerlich zerrissenen Soldaten.

Man sieht dem Scharfschützen bei seiner ersten Mission keinerlei emotionale Regung an. Wie Chris Kyle da auf einem Dach der zerstörten irakischen Stadt Falluja liegt, scheint ihn nur die Präzision seines Gewehres zu interessieren. Dabei könnte die Situation nicht explosiver sein: Im Visier des US-Soldaten befinden sich eine junge Mutter mit ihrem kleinen Sohn, den sie mit etwas im Arm auf eine amerikanische Einheit zulaufen lässt.

Wenn du dich jetzt irrst, raunt ihm sein Kamerad ins Ohr, dann stecken sie dich für lange Zeit in den Knast. Es fällt ein Schuss, doch der Schauplatz ist plötzlich ein völlig anderer, liegt weit in der Vergangenheit. Der kleine Chris hat gerade im ländlichen Texas in Begleitung seines Vaters sein erstes Tier geschossen.

Die Memoiren von Chris Kyle

Mit einer nervenaufreibenden, noch ungeklärten Ausgangslage und einem extremen Schnitt beginnt Clint Eastwoods neuer Film „American Sniper“, basierende auf den Memoiren des ehemaligen Mitglieds der Eliteeinheit Navy Seals Chris Kyle. Der galt im letzten Jahrzehnt mit seinen 160 bestätigten Treffern als erfolgreichster Sniper der US-Militärgeschichte und wurde von seinen Kameraden deswegen auch hochachtungsvoll „The Legend“ genannt. Es ist ein vor falschem Patriotismus nur so triefendes Buch, in dem Kyle nicht damit hinter dem Berg hält, sich selbst als Held zu stilisieren.

Der 84-jährige Eastwood jedoch lässt sich von solchem Hurra! nicht blenden, sondern schaut tiefer und entdeckt einen Menschen mit gequälter Psyche, unausgefüllt und irgendwie einsam selbst im Schoße seiner Familie. So intensiv, wie Bradley Cooper („Silver Linings“, „American Hustle“) das spielt, hebt es diesen Film in den Rang anderer großer Arbeiten Eastwoods wie „Unforgiven“, „Million Dollar Baby“ oder „Gran Torino“.

Vom Rodeo-Reiter zum harten Navy Seal

Die Welt des Chris Kyle wird schon als Kind geprägt von der Sicht seines prügelnden Vaters. Für den existieren lediglich drei Sorten von Menschen – Schafe, Wölfe und Schäferhunde. Der Sohn weiß sofort, dass er zu den Hunden gehören will, geboren um zu beschützen. In einer knappen halben Stunde erlebt man die Mannwerdung dieses Menschen, seinen Weg vom Rodeo-Reiter zum harten Navy Seal. Während Sienna Miller als Kyles Ehefrau Taya sich Mühe gibt, aus ihrer Rolle mehr herauszuholen als das Bild einer geduldig wartenden Gattin, bricht der Ehemann zu seinen insgesamt vier Einsätzen im Irak auf.

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Immer wieder sehen wir ihn hier im Hinterhalt liegen, sehen seine Augen in Großaufnahme, wenn er mit sicherer Hand wieder ein paar „Wilde“ abschießt und seinen Kameraden im Häuserkampf so das Leben rettet. Und weil das auf Dauer doch etwas eintönig erscheint, erschaffen Eastwood und sein Drehbuchautor Jason Dean Hall in Gestalt von Mustafa (Sammy Sheik) einen ebenfalls schier unbesiegbaren Gegner. Das ist ein Kunstgriff, der dem Film plötzlich neue Perspektiven eröffnet.

Zum einen wird Mustafa zu einer Art überhöhtem Spiegelbild des US-Schützen, denn er kämpft hier nicht an fernen Gestaden, sondern muss seine Familie vor Ort gegen Eindringlinge verteidigen. Und zum anderen inszeniert Eastwood diese Auseinandersetzung wieder mal wie einen Showdown, weil seine Liebe zum Western einfach immer wieder durchbricht.

Wenn der Krieg vorbei ist, verschwindet auch der Soldat

Zwischendurch, in der Heimat, spürt man Chris Kyles innere Wunden, die sein Tun immer stärker hinterlässt. Man sieht ihn vor dem Fernseher sitzen, aus dem Schüsse und Kriegsgeräusche dringen, obwohl der Bildschirm eigentlich dunkel ist. Sieht ihn trotz all seiner Dämonen einen Versuch von Familienleben machen, obwohl er doch eigentlich immer nur zurück will, um eine Aufgabe zu haben.

Wenn er schließlich 2013 daheim von einem Veteranen erschossen wird, dem er eigentlich nur helfen wollte, wirkt das für diesen Mann fast wie die klassische Erlösung – wenn der Krieg vorbei ist, verschwindet auch der Soldat. Dass Eastwood das Staatsbegräbnis für Kyle in dokumentarischen Bildern dann noch angehängt hat, wirkt als Schlusspunkt dieses sonst so stimmigen Films allerdings zumindest zwiespältig.

Wertung: vier von fünf Sternen