Essen. . Der beeindruckende Thriller “Blue Ruin“ von Jeremy Saulnier überzeugt durch ruhige Bilder und die Geschichte eines Obdachlosen, die nah an biblische Dimensionen heranreicht.
Etwas muss Dwight aus der Bahn geworfen haben. Aber was es nun war, das ihn zu einem Obdachlosen gemacht hat, lässt Jeremy Saulnier erst einmal im Dunkeln. Zunächst konzentriert sich „Blue Ruin“ ganz auf Dwights Alltag. Auf die Stunden, die der sich hinter seinem zotteligen Bart regelrecht versteckende Mittdreißiger in seinem heruntergekommenen Auto irgendwo am Strand von Delaware verbringt, auf seine Suche nach Essensresten in Mülltonnen und auf seine gelegentlichen Einbrüche in leere Häuser, in denen er dann in aller Ruhe duscht.
Was als überaus eindringliches Porträt eines Entwurzelten beginnt, entwickelt sich dann zu einer Racheerzählung von geradezu biblischen Dimensionen.
Jede Gewalttat zieht noch mehr Gewalt nach sich
Eine Polizistin greift den umherschweifenden Dwight (Macon Blair) auf und verkündet ihm, dass der Mann, der vor vielen Jahren seine Eltern getötet hat, wieder auf freien Fuß kommt. Von diesem Augenblick an hat dieser Mann mit den traurigen Augen wieder ein Ziel. Er will den Mörder richten.
Aber es bleibt in „Blue Ruin“ nicht bei diesem einen Akt der Rache. Jede Gewalttat zieht in Jeremy Saulniers düsterem Drama immer noch mehr Gewalt nach sich. In dem Moment, in dem Dwight selbst zum Mörder wird, geraten er und seine Schwester ins Visier der Familie des Ermordeten. So verständlich Dwights Wut und Mordlust auch sind, ihre Konsequenzen unterlaufen jedes klassische Selbstjustiz-Klischee.
Extrem ruhige Bilder
Saulnier und seinem beeindruckenden Hauptdarsteller Macon Blair geht es dabei nicht einmal so sehr um die bekannte Einsicht, dass ein Rächer sich immer auch selbst zerstört. Dafür reicht schon ein Blick in Blairs Augen, als Dwight mit ansieht, wie Blut und Leben langsam aus seinem Opfer heraus fließen. Wahnsinn und Angst, Verzweiflung und Erleichterung sind eins in ihnen, und so stirbt neben einem Menschen auch die Seele eines anderen.
Weitaus tragischer sind in Saulniers Sicht der Welt und der Menschen die schicksalhaften Verknüpfungen, die aus falschen Entscheidungen erwachsen. In extrem ruhigen Bildern, die Macon Blairs Dwight immer wieder von allen anderen Menschen isolieren, lotet diese fast schon archaische Geschichte die Konsequenzen aus, die jede Handlung mit sich bringt – Leben werden zerstört, Familien vernichtet – und das mit einer Intensität, die ihresgleichen sucht.
Wertung: fünf von fünf Sternen