Magdeburg. . Mit „Abwärts“ geht es aufwärts: Der Film mit Claudia Michelsen und Sylvester Groth ist anstrengend, keine Frage. Aber die Mühe lohnt sich. Regisseur und Drehbuch-Autor Lars Willbrandt liefert eine beeindruckende Studie vereister Beziehungen ab.

Zuletzt gab es im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nur noch Krimis, bei denen Bälle rollten. Tatort Brasilien. Am Sonntag gibt es endlich wieder einen richtigen Krimi, einen frischen Krimi: den Magdeburger „Polizeiruf 110“ (Sonntag, ARD, 20.15 Uhr). „Abwärts“ heißt er, aber seine Botschaft ist das exakte Gegenteil. Sie lautet: Mit Krimis aus dem Osten geht es aufwärts.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Der Krimi ist kein Popcorn-Kino fürs Wohnzimmer. Belanglos war gestern. Der Film von Nils Willbrandt (Drehbuch und Regie) fordert das Publikum. Der Name Willbrandt ist ein Versprechen, und er löst auch diesmal ein. Der Mittvierziger steht für intelligente Krimis, das psychologisch vielschichte Vergewaltigungsdrama „Nichts ist vergessen“ hat er 2007 inszeniert, und den Krimi „Blutadler“ (2012) um bizarre Wikinger-Rituale. Und jetzt also „Abwärts“.

Nazi-Sohn schweigt aggressiv

Die ersten Szenen des Films legen den Verdacht nahe, es handele sich um ein weitere Tragödie aus dem Angstraum öffentlicher Nahverkehr. Doch mit dem inzwischen nahezu komplett ausdiskutierten Thema hat der Krimi nur den Schauplatz Straßenbahn-Depot gemein. Vielmehr führt der Film in eine ganz andere Richtung, und die wird vorgegeben durch die Jahreszeit, in der der „Polizeiruf“ spielt: Es ist Winter, Schnee ist allgegenwärtig, und Eis. Die Farben weiß, grau und schwarz dominieren, kalte Farben. Sie sind mehr als Dekoration. Wie im Kinski-Western „Leichen pflastern seinen Weg“ und in der amerikanischen Provinz-Farce „Fargo“ steht die kalte Jahreszeit sinnbildlich für vereiste Beziehungen.

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Tatsächlich liegt die Temperatur der Beziehungen unter dem Gefrierpunkt. Die knallharte Fernsehfahnderin Doreen Brasch (Claudia Michelsen) muss das aggressive Schweigen ihres inzwischen inhaftierten Nazi-Sohns aushalten. Der Dortmunder „Tatort“ lässt grüßen: Auch im Elb-Kommissariat Ost wird eine private Geschichte weitererzählt. Eiszeit herrscht auch unter den Ermittlern. Zwischen der raubeinigen Schimanski-Ermittlerin und dem knurrigen Angstbeißer Jochen Drexler (Sylvester Groth) rumpelt es deutlich. Sie wechseln zu wenige Worte miteinander, und das verursacht große Probleme, intern wie extern. Dass sie den Fall schließlich dennoch lösen, grenzt an ein Wunder – der „Polizeiruf 110“ aus Magdeburg wirkt mit seinen schratigen Charakteren wie eine Miniatur-Ausgabe des Dortmunder „Tatorts“.

Das Geheimnis des Sozialarbeiters

Ach ja, der Fall. Der Tote im Straßenbahn-Depot ist ein junger Mann, der als Krimineller ein sprichwörtlicher alter Hase ist. Der orientungslose Jugendliche wird von einem Sozialarbeiter betreut, der, wie sich bald herausstellt, die Kontrolle über sein Leben verliert. Er wird beeindruckend gespielt von Peter Jordan, der für diesen Krimi die Seiten gewechselt hat. „Tatort“-Kenner erinnern sich, dass der gebürtige Dortmunder der coole Partner von Mehmet Kurtulus im Hamburger „Tatort“ war. Jetzt ist er ein zauselbärtiger Sozialarbeiter, den ein dunkles Geheimnis drückt.

Das zu lüften: Darum geht es in diesem Film. Erst wenn das Geheimnis des Sozialarbeiters enttarnt ist, wird auch die Motivation seines Handelns offenbar. Was den Gutmenschen auf die dunkle Seite der Macht treibt, zeigt sich in einem beeindruckenden Finale, das in einer Graffiti-beschmierten Unterführung spielt – eine architektonische Ikone für versteinerte Beziehungen.

Dem Publikum sei geraten: Schnallen Sie sich an – es geht abwärts.