Hamburg. Das im Internet erfolgreiche Satire-Format “Der Postillon“ hat seine TV-Premiere gefeiert. Im NDR-Fernsehen unterhielt die Premierensendung vor allem mit kurzen und kurzweiligen Parodien. Bei längeren Einspielfilmen blieb der Humor jedoch teilweise auf der Strecke.

Darf man das überhaupt? Den Postillon nicht lustig finden? Das Portal wird seit fast sechs Jahren von Stefan Sichermann betrieben, quasi im Alleingang hat der junge Werbetexter mit seiner Mediensatire den Grimme Online Award und andere Preise gewonnen, sich eine große Fangemeinde erarbeitet. Er gilt als einer der wenigen deutschen Blogger, die von ihrer Arbeit leben können. Nicht jeden Tag, aber doch immer mal wieder, gelingen seiner „Nachrichtenseite“ grandios-böse Überschriften wie diese: „Fabrikeinsturz in Bangladesch: KiK stellt Suche nach unbeschädigten Kleidungsstücken ein.“

Seit fast zwei Jahren betreibt der Blog mit dem Posthornlogo eine eigene Nachrichtensendung auf Youtube, 36.000 Menschen schauen regelmäßig zu. Nun kommt das Web-Portal ins öffentlich-rechtliche Fernsehen, in der Nacht zu Samstag (0 Uhr bis 0.15 Uhr) lief die erste Folge.

Parodien auf RTL2-Familiendramen

Und? Naja. Tina van der Saar, die Mutter, die bei der Geburt vertauscht wurde und seit zwei Jahren unwissentlich in einer fremden Familie lebt, ist ein kleines Schmunzeln wert – zumal die Schauspielerin mit dem holländischen Akzent („Das, was ich da für meine Sohn gehalten habe“) eine perfekte Parodie aller RTL-2-Familiendramen abgibt. Fans von Postillon24, wie die Nachrichtensendung mit N24-Farben heißt, kennen Tina van der Saars bewegendes Schicksal allerdings schon längst: Der Clip lief bereits 2012 auf Youtube.

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Sonst so? Die Große Koalition will das Pfandgeld von 25 auf 50 Cent erhöhen, um Flaschensammlern einen würdigen Lebensabend zu garantieren. Rentner Wilhelm Maschner: „Das wurde aber auch Zeit. Seit 2003 wurde das Einwegpfand nicht mal an die Inflation angepasst. Und das bedeutet immerhin einen Real-Pfand-Verlust von 15 Prozent.“ Das Arbeitsministerium hält das für eine großartige Maßnahme im Kampf gegen Altersarmut, wenn er sich anstrenge, der Rentner, könne er jetzt sogar auf einen Stundenlohn von 8,50 Euro kommen.

„Tja, sportlich“, kommentiert Moderator Thieß Neubert mit hochgezogener N-24-Augenbraue, das „Gesetz für Alterswohlstand und Seniorenertüchtigung“ solle schon in den nächsten Monaten den Bundestag passieren. Dann übernimmt Sidekick Anne Rothäuser (frech hochgeföhnte Haare, perfekter sitzender Blazer, stahlharte Kompetenz in der Stimme) mit einer Kurznachricht, die sich, warum auch immer, „gewaschen hat“. Handwerker kommt pünktlich zum Termin, Oma XYZ steht noch immer unter Schock. Erst als sie dann die viel zu hohe Rechnung bekommt, „ist ihre Welt wieder in Ordnung“. Das würde auf Facebook, wo die Schlagzeilen des Postillon öfter geteilt werden als die vieler etablierter Medien, wohl auch kaum jemand liken.

Postillon unterhält mit kurzen Clips am besten 

Die Hinterbänkler des Bundestags bereiten das Sommerloch vor (Krokodile in Baggerseen!), japanische Forscher haben Hühner mit Tofugeschmack gezüchtet (Vegetariermarkt! Gesellschaftskritik!) Dann wird es schneller, kürzer, absurder, und damit besser: Perverser Spanner von noch perverserem Spanner beobachtet! („Ich weiß nicht, ob ich je wieder unverkrampft Leute beim Sex beobachten kann“) Großer Regentanz der Cherokee-Indianer wegen schlechten Wetters abgesagt!

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Eine richtige Nachrichtensendung braucht aber, leider, auch ein paar längere Beiträge und deshalb wird live ins Schlafzimmer einer verzweifelten Ehefrau geschaltet, die wegen des Tinnitus ihres Mannes nicht schlafen kann – aber ja doch. Noch länger müssen es die Zuschauer nur mit Johnny Mausblatt, Punk in der Kölner Innenstadt, aushalten. Er akzeptiert als erster Penner Kredit- und EC-Karten und läuft, freundlich fragend, mit dem handlichen grauen Gerät durch die Fußgängerzone. Wer Spaß daran hat, wenn etwas exakt wie die Originale bei ProSieben, Sat1 oder RTL funktioniert, kann den Kölner Straßenumfragen vielleicht etwas abgewinnen.

Sechs Folgen Postillon im NDR geplant

Ansonsten gilt: Bei kurzen, absurden Schlagzeilen, die den Postillon im Netz berühmt gemacht haben, ist Stefan Sichermann, der noch immer fast alle Gags alleine schreibt, unschlagbar. (Auf den Newsticker unten im Bild achten!) Je länger es wird, desto schwerfälliger wird es auch – trotz hochgezogener Augenbrauen, Privatfernsehen-Imitation und guter Schauspieler. Schwachsinn will man einfach nicht endlos erklärt bekommen.

Der NDR hat Postillon24 sechs Folgen lang eingeplant, von jetzt an jede Freitagnacht eine. Auch der Radiosender N-Joy wird die Satire-Nachrichten verbreiten. Das zeigt vor allem eines: Der NDR will jünger werden, vernetzter, cooler. Und natürlich total humorvoll. Der Werbeclip für das neue Format und seine Moderatoren endet mit den Worten: „Sie gehen davon aus, dass die Postillon24 Nachrichten spätestens im kommenden Jahr die Tagesschau ablösen werden.“