Hamburg. . ProSieben und Sat.1 wollen bei einer neuen Castingshow den ersten demokratisch gewählten Millionär küren. Doch das Finanzamt könnte dem Gewinner einen Strich durch die Rechnung machen: Steuer-Experten schätzen, dass von der Prämie wohl nur die Hälfte übrig bleiben wird.
Mit einem Youtube-Video ins Fernsehen und dann zum Millionär? Dieses Versprechen geben ProSieben und Sat.1 ausgerechnet in ihrer neuen Castingshow "Millionärswahl". Die erste Ausgabe der Live-Sendung startet am 9. Januar auf ProSieben - die zweite folgt am 10. Januar auf Sat.1. Die Sender setzen darin auf die Verschmelzung von Fernsehen und Internet - und das gegenseitige Aussieben der Teilnehmer. Etwa 27.000 Menschen hatten sich im Netz mit hochgeladenen Videos, Fotos oder Texten im Messen von Talenten und Charakteren zuvor beworben.
Keine Jury, kein Expertenkreis entscheidet, wer von ihnen am Ende ins Fernsehen kommt, erklärt Wolfgang Link, Geschäftsführer von Pro-SiebenSat.1 TV Deutschland. In mehreren Wahlgängen haben die Teilnehmer gegenseitig auf ihrer Online-Plattform festgelegt, wer sich in der Runde der letzten 49 Kandidaten in den acht Live-Shows präsentiert. In zunächst sieben Shows präsentieren sich jeweils sieben Bewerber: Das TV-Publikum, die Online-Gemeinde der 27 000 und auch die sieben unter sich bestimmen, wer in die Endrunde kommt.
Die Show soll das "digitale Wetten, dass ..." sein
Auch im Finale am 31. Januar zählen die Anrufe der Zuschauer, die Klicks der anderen Bewerber und die Runde der letzten sieben über den Sieger. Die Ambitionen für die "Millionärswahl" stehen hoch: Versprochen wird eine Show in der Größe wie "Schlag den Raab". Die Rede ist auch vom "digitalen Wetten, dass..?, bei dem Zuschauer per Telefon und nicht Dieter Bohlen oder Xavier Naidoo entscheiden", erklärt Geschäftsführer Link.
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Der Strauß an Möchtegern-Millionären ist bunt: Eine athletische Akrobaten-Gruppe will das Publikum mit ihren Muckis-Bergen und Turneinlagen beeindrucken. Ein Anderer stürzt sich in seinem Bewerbungsvideo von einem 50 Meter hohen Kran ohne Seil, er landet weich. Eine exzentrische Balkan-Braut hüpft als Putzfrau-Verschnitt durch einen Musikclip - ein tollkühner Rollstuhl-Fahrer durch den Skatepark. Manche drücken mit einem rührenden Heiratsantrag auf den Herzmuskel, andere versprechen den vollen Gewinn an gemeinnützige Einrichtungen zu spenden. "Ich hoffe, dass die Leute vor den Fernsehern mitdiskutieren: Wem von ihnen gönne ich die Million?", sagt Link.
Ungefähr 50 Prozent des Gewinns muss wohl abgegeben werden
Doch der Fiskus könnte dabei zum Spielverderber werden. "Über den Daumen müsste der Sieger ungefähr 50 Prozent seiner Million, etwa 458 000 Euro, an das Finanzamt abgeben", sagt Wolfgang Wawro, Sprecher des Deutschen Steuerberaterverbandes (DStV). "Wenn sich Teilnehmer in einer Fernsehshow durch ihr Auftreten und Talent präsentieren, ist das nicht als steuerfreies Glücksspiel zu sehen".
Der Sieger müsste nach seiner Sicht die Reichensteuer von 45 Prozent zahlen - höchstens 542 000 Euro würden ihm somit übrigbleiben. Selbst Wohltäter müssten sich hüten - eine Spende wäre nur bis zu 200 000 Euro steuerfrei. "Wer ohne sich zu erkundigen einen Spendenscheck von einer Million Euro einreicht, könnte schnell mit Hunderttausenden im Minus stehen", erläutert Wawro. Die Sender erklären dazu: "Das für den Sieger zuständige Finanzamt wird wissen, wie der Gewinn von einer Million Euro zu versteuern ist."
Die Show zeigt, dass der Kampf um Aufmerksamkeit Alltag geworden ist
Medienwissenschaftler stehen dem neuen Format skeptisch gegenüber. Bislang seien alle "Wetten, dass..?"-Adaptionen gescheitert, sagt Professor Joan Kristin Bleicher von der Universität Hamburg. Für viele Zuschauer hätten Castingshows wie das "Supertalent" durch die zunehmende Professionalisierung inzwischen ihren Reiz verloren. Bernhard Pörksen, Medienwissenschaftler an der Universität Tübingen und Autor des Buches "Die Casting-Gesellschaft", vermutet wirtschaftliche Gründe hinter der Sendung: "Deutschland ist durchgecastet, aber noch sind die Shows trotz aller Ermüdungserscheinungen und des ewig gleichen Schematismus schlicht zu quotenträchtig und zu lukrativ, um sie einfach einzustellen."
In der "Millionärswahl" als "Casting-Show 2.0" sieht Pörksen ein Hybridformat. Sie kombiniere die Gesetze klassischer Castingshows mit den Prinzipien des Internets: Jeder könne mitmachen und sich zunächst ohne Filter-Prozess präsentieren. "Die selbstproduzierten Videos der Teilnehmer zeigen, dass der Kampf um Aufmerksamkeit Alltag geworden ist." (dpa)