Hamburg/Biedenkopf. . Claudia Michelsen machte zuletzt Schlagzeilen als neue Ermittlerin im “Polizeiruf“. Lars Eidinger kennt man als Psychopathen aus dem “Tatort“ oder Kinofilmen wie “Alle Anderen“ und “Was bleibt“. In “Grenzgang“ spielen sie zwei in der Provinz gestrandete Singles.

Von einem "Grenzgang" bis zum nächsten vergehen sieben Jahre. So ist es Brauch im mittelhessischen Biedenkopf - bei diesem jahrhundertealten Heimatfest. Sieben Jahre, die für viele Menschen Lebensabschnitte bedeuten. Familien werden gegründet oder zerbrechen, Träume erfüllen sich oder zerplatzen. Zum Glück hat es keine sieben Jahre gedauert, bis Stephan Thomes Debütroman "Grenzgang" (2009) verfilmt wurde: Die gleichnamige ARD-Fernseh-Adaption wird am Mittwoch (20.15 Uhr) ausgestrahlt.

Das Werk mit Claudia Michelsen und Lars Eidinger in den Hauptrollen ist schwer in Worte zu fassen. Kein typischer Heimatfilm und keine klassische Liebesgeschichte - einfach: leises, großes Fernsehen.

"Eher eine Schicksalsgeschichte"

Eidinger, der den kauzigen Oberstudienrat Thomas Weidmann spielt, nennt das Drama im dpa-Interview "eher eine Schicksalsgeschichte". Thome bezeichnet es als Verfilmung seiner "Liebes- beziehungsweise Lebensgeschichte". Er besuchte die Dreharbeiten von Regisseurin Brigitte Maria Bertele ("Der Brand") am Originalschauplatz zum Grenzgang 2012. Drehbuchautorin Hannah Hollinger filterte aus dem Roman, der sich über 28 Jahre hinzieht, "das Substrat heraus", wie sie selbst sagt. Auch wenn die verschachtelte Erzählstruktur geblieben ist und auf den klassischen Spannungsbogen verzichtet wird, so beschränkt sich der Film zumindest auf zwei Zeitebenen und konzentriert sich auf zwei Personen: Thomas Weidmann und Kerstin Werner, in der Provinz gestrandete Singles, zwei einsame Seelen.

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Die Rolle der geschiedenen Hausfrau und Mutter Kerstin spielt Claudia Michelsen (44, "Polizeiruf 110"). Stephan Thome findet sie als Besetzung "umwerfend". Kerstin, eine Frau um die 40, ist das emotionale Zentrum des Films. Sie wurde von ihrem Mann wegen einer Jüngeren verlassen, hat Dauerprobleme mit ihrem pubertierenden Sohn Daniel (Sandro Lohmann) und kümmert sich aufopferungsvoll um ihre demente Mutter (Gertrud Roll). "Ich finde an dem Roman und dem Film so schön, dass die Geschichte über eine fast naive Liebe zum Menschen funktioniert", sagt Eidinger. "Die Figuren haben eine gewisse Würde. Das habe ich in der Form selten in einem Film erlebt. Vielleicht, weil gerade ich so oft Extremcharaktere spiele."

Groteske Begegnung im Swingerclub

Der 37-Jährige verkörperte den Dichter Georg Trakl in "Tabu", den stalkenden Briefträger-Psychopathen im "Tatort" und im "Polizeiruf 110" eine Transsexuelle. Nun also diesen Thomas mit der lakonischen Art und dem Anthrazit-Sakko, dessen Uni-Karriere in Berlin scheiterte und der in die Provinz heimkehrt. "Mich interessieren oft Typen, deren Wesen mir fremd ist", meint Eidinger. "Ich fand ihn komisch."

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Thomas und Kerstin nähern sich behutsam an, unspektakulär, als wenn sie einfach zusammengehören. Die Zwei lernen sich vor sieben Jahren beim Grenzgang kennen. Die erste Zeitebene. Und nur ein erster Kuss. Sieben Jahre später ist Thomas der Lehrer von Kerstins Sohn. Und um eine Entscheidung zwischen den beiden zu provozieren, kommt es zu einer grotesken Zufallsbegegnung in einem Swinger Club. "Ich fand den Drehtag voll schlimm", erinnert sich Lars Eidinger.

Eigentümliche Sprache zeichnet den Film aus

Sehenswert macht den Film auch die eigentümliche Sprache. Sätze wie dieser von Kerstin entfalten ihre eigene Poesie: "Kinder wollen das, was sie wollen, immer ein kleines bisschen mehr, als es ihre Eltern nicht wollen." Das Werk lebt auch von seiner Bildsprache mit zig Totalen. Hans Fromms Kamerablick stellt die Figuren nie bloß. Das langsame Tempo mit den puzzleartigen Rückblenden ist ungewohnt, ebenso der Schauplatz in der tiefsten Provinz. Biedenkopf heißt im Film übrigens Bergenstadt. "Die Sehgewohnheiten tun so, als wenn die Ausnahmestadt Berlin repräsentativ für Deutschland wäre", sagt Eidinger. "Wenn man mal herumfährt, merkt man, dass diese ganzen Kleinstädte, die man nicht so präsent hat, viel repräsentativer sind. Sich mal so einem Milieu zu widmen, passiert viel zu selten." (dpa/lhe)