Essen. . Die “Tatort“-Folge “Borowski und der stille Gast“ beeindruckte Millionen TV-Zuschauer am Sonntagabend. Besonders das intensive Spiel des psychopathischen Täters Kai Korthals, gespielt von Lars Eidinger, beeindruckte nachhaltig. Eidingers Bekanntheitsgrad dürfte nach dieser Rolle enorm anwachsen.
7,53 Millionen TV-Zuschauer haben gebannt die "Tatort"-Folge "Borowski und der stille Gast" verfolgt. Besonders der Täter, der bereits zu Beginn der Folge entlarvt wurde, schockierte. Lars Eidinger (36) verkörperte den psychisch kranken Kai Korthals intensiv, angsteinflößend und mit solch schauspielerischer Wucht, dass es nicht verwundern würde, wenn demnächst beispielsweise die Fernsehpreis-Jury die Leistung mit einem Preis adelt. Die "Tatort"-Rolle des Postboten, der sich in Wohnungen braunhaariger Frauen schlich und sie ermordete, dürfte den Bekanntheitsgrad Eidingers enorm anwachsen lassen.
"Ich glaube, jeder von uns hat die Sehnsucht, aus sich heraus zu gehen", sagte Lars Eidinger kürzlich im Gespräch mit der WAZ-Mediengruppe. Im Kieler-"Tatort" mit dem Kommissar Borowski (gespielt vom ebenfalls brillanten Axel Milberg) zeigte er zur besten Sendezeit, was er damit meinte. Der Star der Berliner Schaubühne tanzt im Theater den Hamlet, strippt mit Shakespeare und gilt auch im Kino längst als Supertalent. In Hans-Christian Schmids neuem Film „Was bleibt“ spielt Lars Eidinger die Hauptrolle.
Twitter-Nutzerin zum Tatort: "Wie gut, dass ich Lars Eidinger mag."
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Die Reaktionen auf der offiziellen "Tatort"-Facebook-Seite waren fast durchweg euphorisch: "Außergewöhnlich gut", lobt da einer, "genial" ein anderer. "Wenn mein Mann nicht da gewesen wäre, hätte ich vor dem Schlafen gehen erst mal überall nachgeschaut", schreibt eine Nutzerin - und dürfte damit den Nerv etlicher TV-Zuschauerinnen getroffen haben.
Auch beim Nachrichtendienst Twitter war der Psycho-Mörder aus dem Tatort Gesprächsthema. "Wie gut, dass ich Lars Eidinger mag. Unsere Haustür ist kaputt, er hätte also leichtes Spiel", twitterte Wiebke (analogkultur). "Ist der Eidinger gruselig! Fies, verstörend, da fehlen echt die Worte!", bilanzierte der Twitterer "Towandakatze".
Lesen Sie hier das komplette Interview zum neuen Film mit Lars Eidinger. Martina Schürmann sprach mit ihm bei der Essener Lichtburg-Premiere.
Nach Filmen wie „Alle anderen“ und „Was bleibt“ gelten Sie als der Prototyp des sensiblen, modernen Mannes, der Gefühle diskutiert, Beziehungen hinterfragt. Wie gefallen sie Sich als Identifikationsfigur?
Lars Eidinger: Ich freu mich erst mal darüber. Das ist ja der Anspruch, den man hat, wenn man Künstler ist, Theater macht: Man will etwas kreieren, was die Leute wiedererkennen, ihnen den Spiegel vorhalten.
Ihre Filme erzählen auch von Wohlstandskindern aus der bürgerlichen Mitte, die versorgt und behütet leben und trotzdem am Leben leiden.
Eidinger: Ich kenne schon einige dieser Leute, die nicht arbeiten und doch gut leben. Aber ich spüre auch, dass viele in meiner Generation unglücklich sind in der Welt und Reibungsflächen suchen. Und dann ist da ja auch noch diese Sehnsucht nach einer fast kreatürlichen Vertrautheit zur Mutter. Die natürlich verloren geht, wenn sich Hierarchien auflösen. Nicht von ungefähr nennen die Söhne ihre Eltern in „Was bleibt“ beim Vornamen. Ich kenne das von vielen Freunden. Die Mutter will nicht die Mutter sein, sondern die beste Freundin. Hört sich erst mal gut an. Aber ich finde, eine Mutter hat dann doch noch mehr zu bieten als eine Freundin.
Wie hat’s mit der eigenen Abnabelung von den Eltern geklappt?
Eidinger: Ich wünschte, ich wäre rebellischer gewesen. Ich hab das ein bisschen verpasst wie viele meiner Generation. Bei mir hatte das auch mit einem fast zwanghaften Wunsch nach Harmonie zu tun. So wie im Film hatte ich eher die Neigung, Konflikte zu überspielen .
„Das Elend des modernen deutschen Mannes sieht seitdem aus wie Lars Eidinger“, hat die „Zeit" nach „Alle anderen“ geschrieben. Hadern Sie mit ihrer Rolle als Mann?
Eidinger: Gemeint war ja vor allem, dass die Figur des Chris im Film ein wenig leidend, jämmerlich wirkt. Aber genau das ist für mich ja der moderne Mann, der auch eine weibliche Seite hat, Schwächen zeigt. Der auch zugibt, dass er vielleicht orientierungslos ist. Ich glaube, das ist durchaus eine Qualität. Ich fühle mich ganz wohl in meiner Rolle als Mann.
Im Theater sind Sie ein Berserker, der bis an die Schmerzgrenze spielt. Im Kino sind Sie der Reflektierte, Leise. Was liegt Ihren näher?
Eidinger: Ich fühle mich bei dem Expressiven auf der Bühne sehr viel wohler. Ich glaube, jeder von uns hat die Sehnsucht, aus sich heraus zu gehen. Im Theater finde ich dafür ein Ventil. Man traut mir das auch gar nicht zu ,wen man privat mit mir redet. Manche denken dann eher: ,Berliner Phlegma“. Und sind überrascht, wenn sie mich auf der Bühne erleben. Theater hat für mich schon etwas Therapeutisches, im positiven Sinne. Auch wenn es immer wieder Überwindung kostet.
Wenn Sie im Sommernachtstraum oder im „Hamlet“ auf der Bühne stehen, ist das die totale Entblößung, innerlich, auch äußerlich.
Eidinger: Das Ausziehen ist das kleinste Problem. Das verstehen die Leute ja meistens nicht. Für die meisten ist Nacktheit eben gleich Realität, da guckt man auf was ganz Privates, beispielsweise auf den Schoß von Lars Eidinger. Bei der Emotionalität denkt man immer noch: Das ist gespielt. Aber ich versuche genau diese Grenze zu überwinden. Was ich auf der Bühne mache, ist schon sehr persönlich. Beim Film kann alles gefaked werden. Da kommen die Leute einfach mit dem Tränenstift. Aber den will ich eigentlich nie benutzen.
Sie spielen auch in Polizeiruf 110 oder im Tatort. Wie groß ist die Sehnsucht, von einem breiten Publikum geliebt zu werden?
Eidinger: Ich habe eher Respekt davor, weil ich glaube, dass man das nicht wieder rückgängig machen kann. Manchmal gehe ich zu einem Casting und weiß: Wenn ich die Rolle jetzt kriegen würde, wäre ich auf einen Schlag berühmt. Und es ist immer so, dass ich mich fast ein bisschen freue, wenn’s nicht klappt.