Köln. Kaum jemand kennt noch Elisabeth Selbert. Die hessische Politikerin hat dafür gekämpft, dass der Satz “Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ ins Grundgesetz kommt. Zum 65. Jubiläum der Verfassung spielt Iris Berben diese Frau, die die Grundlagen der Emanzipation in der Bundesrepublik geschaffen hat.
Gleiches Recht für Frau und Mann – so steht es im Grundgesetz. Dass es 1949 dazu kam, war das Ergebnis eines harten Kampfes. Die hessische Politikerin Elisabeth Selbert führte ihn. Zum 65-jährigen Jubiläum des Grundgesetzes entsteht in Köln ein Film mit dem Arbeitstitel „Artikel 3“. Iris Berben spielt die Juristin, die den Grundsatz der Gleichberechtigung durchsetzte. Jürgen Overkott traf die Schauspielerin am Set im Butzweiler Hof.
Die 63-jährige Schauspielerin hat ihren Drehtag beendet. Wir treffen uns in ihrer Garderobe, an deren Tür lediglich ihr Rollename steht: Elisabeth Selbert. Ihre Garderobe ist klösterlich kärglich eingerichtet. Iris Berben sitzt auf einem dunkelgrünen Sofa, neben ihr Foxterrier „Paul“, der mit einer lädierten Vorderpfote beiläufig hört, was sein Frauchen mit einer Leidenschaft vorträgt, für die Verve eine charmante Untertreibung ist. Die Präsidentin der Deutschen Filmakademie brennt förmlich für das Projekt, das die Produktionsfirma thevissen im Auftrag des WDR für das Erste umsetzt.
Als ich den Arbeitstitel „Artikel 3“ las, dachte ich, das Drehbuch staubt. Was kann man tun, um so eine Geschichte spannend zu erzählen?
Iris Berben: Es ist ein Arbeitstitel. Ich würde mir wünschen, dass sich schon beim Titel ein großer Teil der Zuschauer angesprochen fühlt, dass Zuschauer denken, was ist das, was steckt dahinter, wo sind wir heute? Wir haben ein sehr heutiges Thema. Beim Thema Gleichberechtigung ist zwar viel auf den Weg gebracht, auch und gerade von Elisabeth Selbert. Von ihr stammt der Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“. Damit war Gleichberechtigung nicht nur ein straf-, sondern auch ein zivilrechtliches Thema. Auch wenn das Grundsatz bald 65 Jahre alt ist, bleibt das Thema Gleichberechtigung wichtig. Ich sehe immer öfter ein konservatives Denken bei diesem Thema, auch bei jungen Menschen.
Ich kannte Frau Selbert bisher nicht.
Berben: Ich finde es wichtig, sie der Vergessenheit zu entreißen. Sie hat Aufmerksamkeit verdient.
Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie aufgenommen?
Berben: Ich persönlich nicht, aber ich habe viel Material an die Hand bekommen. Ich habe ihre Biografie gelesen, habe intensive Gespräche mit der Regisseurin und der Produzentin geführt, und das Gefühl, hier sind alle mit einer großen Emotion und einer großen Überzeugung zu Werke gegangen. Und natürlich stellt sich die Frage, wie erzählt man es einem breiten Publikum?
Ich bin gespannt auf die Antwort.
Berben: Ich habe mir immer wieder Aufnahmen von Elisabeth Selberts Stimme angehört, und ich war fasziniert davon, wie ruhig und bedächtig sie ihre Worte wählt, aber zugleich wurde mir klar, dass wir eine andere Sprache wählen müssen. Ich sehe auch nicht aus wie Elisabeth Selbert, obwohl Ausstattung und Maske eine hervorragende Figur geschaffen haben. Ich trage schwere, derbe Schuhe. Das führt zu einem anderen Gang, und das hat damit zu tun, dass Elisabeth Selbert etwas in einer Männerwelt durchgesetzt hat. Aber wir versuchen nicht, das Bäuerliche und Grobe dieser Frau darzustellen. Wir machen einen Spielfilm, uns geht es um den Kern ihrer Botschaft.
Elisabeth Selbert hat nach dem Ende der Nazi-Herrschaft mitgeholfen, beim Entstehen der Bundesrepublik etwas Neues zu schaffen, und dennoch gehörte sie nicht zur Generation der Stunde null.
Berben: Elisabeth Selbert war die letzte Frau vor Hitlers Machtübernahme, die ihre Zulassung als Anwältin bekommen hat. Sie ist für mich eine der ganz frühen emanzipierten Frauen, verheiratet, was ebenso spannend ist, mit einem emanzipierten Mann.
Wie sah das aus?
Berben: Sie hatte einen Mann an ihrer Seite, dessen Persönlichkeit nicht daran zugrunde ging, weil er für die Kinder sorgte. Im Gegenteil: Obwohl schon zwei Kinder da waren, hat er sie ermutigt zu studieren. Er ist ein Mann, der vom Krieg gebeutelt war, er hatte Arbeitsverbot, er hatte Steine schleppen müssen, er hat kaputte Hände, er hat Diabetes. Doch beide rocken das. Das Wunderbare an der Geschichte ist: Elisabeth Selbert, diese- außergewöhnliche Frau, hat an ihrer Seite einen ebenbürtigen Mann. Sie ist eine heutige Figur.
Aus welcher Quelle hat die Frau Überzeugung und Selbstbewusstsein geschöpft?
Berben: Ihre Überzeugung mag vom Vater kommen; er hat im Gefängnis gearbeitet. Ihr Vater konnte Ungerechtigkeit nicht ertragen. Der Gerechtigkeitsgedanke ihres Vaters hat sie geprägt. Sie hatte wohl den Gedanken, sprachlosen Menschen eine Stimme zu geben. Sie hatte als Anwältin immer wieder mit Frauen in Scheidungsangelegenheiten zu tun, die gar keine Chance hatten. Denn der Mann war das Oberhaupt der Familie. Eine Frau durfte ja nicht einmal einen größeren Kaufvertrag unterschreiben. Und das war die Triebfeder von Elisabeth Selbert: Zivilrechtlich muss für die Frauen etwas passieren, und das geht nur über Gleichberechtigung. Und sie kam aus der Praxis und war pragmatisch.
Nun ist ein verbesserter Paragraf das eine, und die Lebenswirklichkeit ist das andere. Wie haben Sie selbst das Verhältnis der Geschlechter, die Behandlung von Mädchen und Jungen, in der Schule erlebt?
Berben: In der Volksschule war ich damals, in den 50er-Jahren, in einer gemischten Klasse, und das Gymnasium wurde von Nonnen geleitet, das war eine reine Mädchenschule. Und ich war später in Internaten, in denen wir Mädchen zu den Mahlzeiten keine Hosen anziehen durften. Aber meine Mutter war immer schon sehr selbstbestimmt. Sie hat ihr Abitur nachgemacht, sie hat studiert, sie ist früh ins Ausland gegangen. Mir wurde Emanzipation hautnah vorgelebt. An Alice Schwarzer musste ich mich später gar nicht mehr orientieren.
Die 68er haben Konventionen in Frage gestellt. Galt das auch für Gleichberechtigung?
Warum die Emanzipation des Mannes Voraussetzung für die Emanzipation der Frau ist
Berben: Ich war 18, war zwar kein politischer Mensch, aber ich bin damals politisiert worden. Da wurde erstmalig auch eine neue Form der Freiheit für Frauen möglich. Ich rede nicht in erster Linie über das, was normalerweise mit einem Schmunzeln begleitet wird, die sexuelle Freiheit. Sie wurde, nebenbei, auch sehr viel plakativer beschrieben, als sie wirklich war. Aber immerhin: Tabus wurden aufgebrochen. Man war nicht mehr ein Flittchen, bloß weil man im Kreis von zehn männlichen Kommilitonen war...
...oder allein in die Kneipe gehen...
Berben: Das allerdings ist ein Punkt, den die Männerwelt noch immer nicht komplett verstanden hat. Du bist nicht Freiwild, Du bist auch nicht auf der Suche. Die Emanzipation der Frau ist nicht möglich ohne die Emanzipation des Mannes. Dieser Weg ist noch nicht abgeschlossen.
Da gibt es natürlich auch die Gegenposition, die da sagt, jetzt haben wir eine Bundeskanzlerin, und die Mädchen machen die besseren Abschlüsse – jetzt müssen wir die Männer schützen?
Berben: Alle klugen Männer wissen, wir müssen's gemeinsam machen. Eine Emanzipation kann man nie gegen den anderen führen. Nein, ein Schlussstrich kann noch nicht gezogen werden. Denken Sie nur daran, dass Männer und Frauen ungleiche Löhne für dieselbe Arbeit erhalten.
Sie sind die Präsidentin der Filmakademie. Gibt es bei Film und Fernsehen schon etwas mehr Gleichberechtigung als anderswo?
Berben: Nein, so viel ich weiß, werden männliche und weibliche Stars und Hauptrollen unterschiedlich bezahlt. Auch da ist das Gleichgewicht noch nicht da. Aber: Verändert hat sich das Frauenbild. Früher war 40 das kritische Alter für Frauen, die nicht gerade am Theater waren. Ab 40 waren sie nur noch Mütter oder Großmütter. Heutzutage gibt es viel mehr Frauenrollen und viel mehr Inhalte. Denken Sie an „Rosa Roth“. Das war damals etwas Neues; heute sind Frauen als Kommissarinnen ja fast inflationär. Das Publikum hat diese Rollen angenommen. Das Selbstverständnis der Gesellschaft hat sich in diesem Punkt verändert. Und noch etwas: Ich habe in diesem Jahr drei große Filme gedreht, und bei allen dreien führten Frauen Regie. Es wird immer selbstverständlicher.
Keine Selbstverständlichkeit: ein uneheliches Kind
Haben Frauen einen anderen Regie-Stil?
Berben: Nein, finde ich nicht. Das Handwerk ist dasselbe. Und wenn es gut geht, sind wir ein Team. Und da gibt es keine Unterschiede zu Männern.
Glauben Sie, dass irgendwann der Punkt kommt, wo man über Gleichberechtigung gar nicht mehr reden muss?
Berben: Ich weiß nicht. Es gibt durchaus Tendenzen zu mehr Konservativismus. Und da denke ich: Ergreift doch Eure Chancen, es geht doch beides, Kind und Beruf.
Sind Sie selbst früher als alleinerziehende Mutter angefeindet worden?
Berben: In den 70er-Jahren kam mein Sohn zur Welt, und damals war es nicht die Regel, ein Kind allein zu erziehen. Du hast schon bei Ämtern gemerkt, in welcher Weise man Dich behandelt hat; man hat es schon dokumentiert. Ein uneheliches Kind, und dann mein Beruf – das wurde keinesfalls mit der Selbstverständlichkeit hingenommen, wie das heute ist.
Gibt heute Frauen, die Sie als Vorbild sehen?
Berben: Die gibt es. Ich selbst sehe mich nicht gern in einer Vorbild-Funktion. Aber vielleicht bin auch ich das Produkt meiner Mutter und auch meiner Großeltern. Von ihnen habe ich eine Weitsicht für das Leben gelernt.