Essen. Ist Deutschlands Infrastruktur wirklich in einem so maroden Zustand? In Günther Jauchs ARD-Talk sprachen Gäste wie CSU-Verkehrsminister Peter Ramsauer und die Grüne Bärbel Höhn über einen drohenden Verkehrsinfarkt. Auch die Pkw-Maut zumindest für Fahrer aus dem Ausland stand wieder zur Debatte.

Sechs Milliarden Euro. Soviel müsste die Politik laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung jährlich investieren, um die Infrastruktur in Deutschland grundlegend zu sanieren. Ansonsten drohe nicht nur ein Verkehrskollaps, sondern auch ein gigantisches wirtschaftliches Problem. Aber ist die Lage wirklich so desolat auf Straßen und Schienen? Und woher soll das Geld zur Instandhaltung und zum Neubau kommen?

Darüber diskutierten am Sonntagabend in Günther Jauchs ARD-Talkrunde die stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende Bärbel Höhn, Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) sowie Sportmoderator Werner Hansch, ADAC-Präsident Peter Meyer und Martin Mertens, der Professor für Ingenieuswesen an der FH Bochum ist.

Deutschland, eine Autonation

Hitzig war das Gespräch allemal, beim Thema Autofahren und Autobahnen ist der Deutsche bekanntlich mit besonderer Leidenschaft dabei. Jeder hat ein Anekdötchen beizusteuern, wenn es um Schlaglöcher, Staus oder auch Verspätungen bei der Bahn geht. Das schien auch der einzige Grund gewesen zu sein, weshalb Sportmoderator Werner Hansch eingeladen wurde. Ansonsten eher ein Laie, wenn es um Brückensanierungen und Schlafbaustellen geht, erzählte Hansch ausführlich vom Autofahren im Ruhrgebiet und Bahnfahren im Rest des Bundesgebiets.

"Wenn ein ICE mal pünktlich ist, gratuliere ich dem Schaffner", lautete ein typischer Beitrag von ihm. Das Autofahren zwischen Rhein und Ruhr sei hingegen angenehm. "Ich fahre etwa 40.000 Kilometer im Jahr nur im Ruhrgebiet und kann nicht klagen", meinte Hansch. Natürlich werde viel gebaut und man müsse auch mal langsamer fahren, aber das sei eigentlich ein gutes Zeichen, weil man sehe, dass etwas getan werde am Zustand der Straßen. Eine gewagte Aussage, die wohl nur wenige Pendler, die täglich im kilometerlangen Stau auf der A40 stehen, mit ihm teilen.

"Der Ruhrgebietsautofahrer ist flexibel, belastbar und kann sich anpassen"

Nach diesen eher subjektiven Empfindungen versuchte Jauch dem Gespräch einen ernsthafteren Anstrich zu geben. Dabei stritten sich vor allem Ramsauer und Höhn um den Rückstau bei der Instandhaltung der Infrastruktur. "Ihnen ist es wichtiger, immer neue Dinge zu eröffnen und neuzubauen, anstatt die überfälligen Sanierungen in Angriff zu nehmen", warf Höhn dem Verkehrsminister vor.

Der sah das ganz anders. Seit er das Amt vor dreieinhalb Jahren aufgenommen habe, liege der Schwerpunkt klar auf der Instandsetzung. "Es staut sich auch, weil so viel saniert wird. Das hat ganz klar Priorität," meinte Ramsauer. Er gab jedoch zu, dass ein Rückstau bei der Instandsetzung zu erkennen sei.

ADAC-Präsident Meyer war vor allem daran gelegen, die Autofahrer zu entlasten. "Es war eine gute Idee, die A40 im letzten Sommer abschnittsweise komplett zu sperren, dadurch kann auf Baustellen viel effizienter gearbeitet werden und die Belastung für die Fahrer ist geringer." Für ihn hat das Modell Vorbildcharakter, obwohl viele es im Vorhinein zum Scheitern verurteilt hatten. "Viele haben gesagt, das kann nicht gehen. Aber der Ruhrgebietsautofahrer ist flexibel, belastbar und kann sich anpassen", so seine Einschätzung.

Fließen die Gelder bevorzugt nur in einige wenige Bundesländer?

Ein ganz anderes Problem stellte sich für einige Gäste bei der Frage der Verteilung der Gelder vom Bund an die einzelnen Länder. "Das größte Problem ist, dass das Geld nicht nach Bedarf vergeben wird", sagte Höhn. Jauch unterstellte Ramsauer gar, besonders Bayern, die Heimat des Verkehrsministers, bekäme besonders viel Unterstützung. "Völliger Unsinn", meinte Ramsauer. Fakt sei lediglich, dass die Sanierung von Straßen und Schienen in den alten Bundesländern mittlerweile dringender sei als in den neuen.

Dazu konnte dann auch Werner Hansch wieder etwas aus seinem Erfahrungsschatz beitragen. "Im Osten fährt man wie auf Daunenfedern auf der Autobahn", sagte er, obwohl er jenseits des Ruhrgebiets nach eigenen Angaben nur noch Beifahrer ist. "Hier kann ich sehen, dass ein Teil des Solidaritätszuschlags, den ich zahle, wirklich gut angelegt wurde."

Dass die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel in den nächsten Jahren aber wohl nicht ausreichen werden, war ein Thema, dass vor allem FH-Diplomingenieur Mertens bewegte. "Der Schwerverkehr, der zum allergrößten Teil für den Verschleiß der Straßen verantwortlich ist, nimmt in den nächsten Jahren noch zu", meinte er. Das trage vor allem zur Ermüdung von Bauwerken wie Brücken bei, von denen in Deutschland zahllose sanierungsbedürftig seien. Brückensperrungen wie die auf der A52 führen für viele Lkw-Fahrer in den nächsten Monaten zu erheblichen Verzögerungen.

Mautgebühren werden bei Jauch wieder Thema

Um die volkswirtschaftliche Bedeutung des teilweise maroden Straßennetzes darzustellen, hatte Jauch eine der wenigen deutschen Lkw-Fahrerinnen eingeladen, die einen 40-Tonner fahren dürfen. "Ich fahre etwa 4.000 Kilometer in der Woche und muss schon jetzt häufiger Umwege in Kauf nehmen, wenn Brücken nur noch für Fahrzeuge bis dreieinhalb Tonnen zugelassen sind", erzählte die Truckerin. Aus dem Gespräch mit anderen Fahrern wisse sie, dass die Straßen in anderen Ländern besser seien. Wo genau, das wusste sie allerdings auch nicht. "England vielleicht."

A propos Ausland: Nach Meinung Ramsauers könnte die Pkw-Maut zumindest für Fahrer, die aus dem Ausland nach Deutschland kommen, eingeführt werden. "Wenn finanziell nichts mehr zu machen ist, wäre das eine Option", sagte er und erntete dafür Applaus aus dem Publikum. "Das sind doch Stammtischparolen", kritisierte ADAC-Präsident Meyer. Der Anteil ausländischer Pkw liege nur bei fünf Prozent, so dass der bürokratische Aufwand höher sei als die Einnahmen.

Eine Maut für deutsche Autofahrer sei jedoch ebenso ungerecht, weil sie kaum für den schlechten Zustand mancher Autobahnen verantwortlich seien. Ein finanzielles Problem also, das anscheinend genauso schwierig zu lösen ist wie Jauchs fantasielose Moderation. Der ARD-Talkmaster passte sein Fazit dem Rest seiner wenig einfallsreichen Beiträge an: "Wir haben also heute gelernt, wir brauchen Geld."