Essen. Anne Will lud zu einer Diskussion, die sich keiner zu führen traut, obwohl sie in aller Munde ist: „Allah statt Grundgesetz – warum werden junge Muslime radikal?“ Die Runde stellte sich der Frage, wo zwischen Salafismus- und Rassismusvorwürfen noch Platz für eine sachliche Debatte bleibt.

Konfrontationsfreudig zeigten sich Anne Wills Gäste an diesem Abend. Und praktischerweise saßen sie auch schön nach ihrer Meinung verteilt: Wolfgang Bosbach (CDU), Vositzender des Innenausschusses des Bundestages, und der Neuköllner Bürgermeister und Buchautor Heinz Buschkowsky zu Wills rechter Seite vertraten die Ansicht, dass gegen die Salafisten dringend etwas getan werden müsse und dass dieses Problem generell aus der mangelnden Integration muslimischer Zuwanderer heraus entstehen.

Kabarettist Serdar Somuncu und Grünen-Politiker Volker Beck zu Wills linker Seite betonten, die Krise sei hausgemacht, Deutschland habe beim Thema Integration über Jahrzehnte versagt. Förderschullehrerin Betül Durmaz teilte sich mit Anne Will den Posten des unparteiischen Schiedsrichters: Jeder hat Recht, ein bisschen zumindest.

Salafisten – Einzelfälle oder gefährlicher Trend?

Aufgehängt war die Sendung an einem Einzelfall: Murat K., Salafist, der während einer Demonstration der rechten Gruppe Pro Köln zwei Polizisten verletzte und später vor Gericht behauptete, er erkenne die deutsche Justiz nicht an und müsse sich einzig und allein Allah gegenüber rechtfertigen. Ein Einzelfall also, der je nach Bedarf als Beispiel für einen generellen gefährlichen Trend gesehen wird oder als Vorwand, um ein bisschen auf den Muslimen in Deutschland rumzuhacken.

Obwohl man Anne Will und ihrer Redaktion bei der Wahl dieses Beispiels sicherlich ein wenig Plumpheit vorwerfen darf, ging der Plan auf: Von Murat K. kamen die Gäste sehr schnell zum Kern der Sache: nämlich der Frage, ob man Muslime und Salafisten in Deutschland überhaupt in einem Atemzug erwähnen darf.

ARD-Talk entlarvte Vorurteile gegenüber dem Islam

„Alle Ausländer sind Muslime und alle Muslime sind gewaltbereit“, umschrieb Kabarettist, Türke und atheistischer Muslim Serdar Somuncu die gängigen Vorurteile. Bevor eine Debatte über die Gefahr des Salafismus und das deutsche Integrationsproblem geführt werden könne, müsse man zunächst einmal die Begrifflichkeiten klären. Dem gegenüber meinte Wolfgang Bosbach, dass jeder Versuch, dieses Thema öffentlich zu machen (wie es etwa Buschkowsky mit seinem Buch „Neukölln ist überall“ getan habe) sofort von Rassismusvorwürfen begleitet sei. Und darum sagen viele erst mal gar nichts.

„Wer die Probleme tabuisiert, der löst sie nicht, der verschärft sie“, sagte Bosbach. Wie über dieses Problem, sofern es denn ein wirkliches ist und kein Medienhype, geredet werden könne, wussten die Gäste aber auch nicht zu sagen. Buschkowskys Tacheles-Buch sei längst überfällig gewesen, befand etwa Wolfgang Bosbach und kritisierte die Kritik an diesem Skandal-Werk.

Völlig unangebracht fand es hingegen Somuncu und kritisierte die Kritik des Neuköllner Bürgermeisters an den Immigranten, sagte sogar, dass seine pauschalisierten Thesen von rechten Gruppen für ihre eigenen Zwecke missbraucht würden. Als er dann allerdings mit einem Werbeheftchen von Pro NRW wedelte, das sich angeblich mit Buschkowskys Formulierungen schmückt, drohte Somuncus Argumentation zu kippen: Anderen Schubladendenken vorwerfen und dann selbst den Nazi-Hammer rauskramen? Sachlich geht anders.

Abgedroschene Integrations-Thesen bei Anne Will

Natürlich begnügte sich Anne Will nicht mit Gezeter und Gejammer, sondern forderte von ihren Gästen auch ein paar Lösungsvorschläge ein. Die waren größtenteils grundsätzlich und daher abgedroschen: Mehr Bildung (Buschkowsky: „Integration ist ohne Bildung nicht möglich“), mehr lohnenswerte Jobs für Geringqualifizierte, die Eltern der Einwandererkinder dazu auffordern, ein Vorbild zu sein, und es sich nicht im sozialen Netz gemütlich zu machen.

Aber droht da nicht schon wieder die Gefahr, alle in einen Topf zu werfen? Sind alle Deutschen mit Migrationshintergrund, besonders muslimischem, faul, dumm und uneinsichtig? Wie also unterscheidet man die Problemfälle, die beispielsweise Betül Durmaz aus ihrem Schulalltag schilderte, von den gut integrierten, weltoffenen, erfolgreichen Einwanderern welcher Generation auch immer?

Islam-Runde diskutiert auch Kita-Pflicht und Betreuungsgeld

Spannend wurden die Lösungsvorschläge erst, als auch das Betreuungsgeld beziehungsweise die Kita-Pflicht als anderes Extrem aufs Tapet kamen. 100 Euro zusätzlich vom Staat, damit man das Kind nicht in eine Kita schickt, ist für manche Eltern viel Geld. Geld, das Kinder von ihrer frühestens Bildungschance überhaupt abhält.

Andererseits sei, so betonte besonders Bosbach, die Kita-Pflicht ein massiver Eingriff in das Recht der Eltern, ihr Kind selber zu erziehen. Für Kinder aus Problemfamilien wäre also sicher die Kita-Pflicht die bessere Wahl, für Mittelstands- und Oberschichtkinder das Betreuungsgeld.

Dumm eben, dass vor dem deutschen Gesetz alle Menschen gleich sind. Auch wenn Salafisten wie Murat K. von eben diesem überhaupt nichts halten.