Dortmund/Essen. "Alle Anderen" zeichnet ein punktgenaues Paar-Portrait. Dabei gelingt Regiesseurin und Autorin Maren Ade das Kunststück eines Films, der mit wenig Handlung auskommt, aber auch ohne überfrachtete Dialoge. Ein Highlight!
Ungewohnt viele Menschen drängten am Freitagabend durch das Foyer der Schauburg in den Zuschauerraum. Der Ansturm galt einem Film, der bereits bei der Berlinale die Jury begeistert hatte: Maren Ades „Alle Anderen“, in Berlin mit zwei silbernen Bären ausgezeichnet.
Sie flippig, er zweiflerisch
Und „Alle Anderen“ ist jede Aufmerksamkeit wert. Die Handlung ist schnell erzählt, denn eigentlich handelt dieser Film gar nicht, er entfaltet sich. Gitti (Birgit Minichmayr) und Chris (Lars Eidinger), ein Paar um die 30, er Architekt, sie macht Musik-PR, verbringen Urlaubstage im Haus von Chris’ Eltern auf Sardinien. Dort treffen sie auf Chris’ etwas älteren und deutlich erfolgreicheren Kollegen Hans (Hans-Jochen Wagner) und dessen Frau Sana (Nicole Marischka). Zwischen den Vieren nun entspinnt sich ein Beziehungsgewebe mit wechselnden Loyalitäten, doch vor allem wirkt die Begegnung auf Gitti und Chris.
Sowohl Chris als auch Gitti haben ihre Eigenheiten – wer von beiden sympathischer ist, das liegt im Auge des Betrachters: Sie ein wenig aufgedreht, beredt und flippig, er hingegen ein Melancholiker, gedankenschwer und zweiflerisch. Gelegentlich reagiert er wütend, wenn sie seine Traurigkeiten ins Lächerliche zieht und manchmal gibt er ihrer Quirligkeit gegen den eigenen Willen nach. Aber insgesamt funktioniert diese Kombination zweier Menschen in ihrer Isolation noch ganz gut. Die beiden albern herum, vertreiben sich die Zeit mit intimen Ritualen und Gesprächen und liegen in der Sonne.
Auseinandersetzung beim Abendessen
Als allerdings die Außenwelt in Form von Hans und Sana ihren Tribut fordert, darauf drängt, Stellung zu beziehen, da wird diese Unterschiedlichkeit zum Problem. Chris beginnt, seine Selbstzweifel mit Großspurigkeit zu überspielen. Auf Hans’ gönnerhaftes Gebaren reagiert er geradezu mit Unterwerfungsgesten, obwohl er ihn zuvor Gitti gegenüber immer wieder schlecht gemacht hatte. Gitti macht halbwegs gute Mine zum bösen Spiel bis Hans beginnt, sie beim gemeinsamen Abendessen herauszufordern.
Sie sagt ihm die Meinung – was wiederum Chris höchst unangenehm ist. Er solidarisiert sich mit Hans. Gitti bemüht sich daraufhin um Anpassung und Bürgerlichkeit, steckt zurück: Die Strubbelfrisur glättet sich zum Bubikopf, der Kleidungsstil wird braver. Auf Chris’ Machtdemonstrationen reagiert sie mit erstaunlicher Zurückhaltung – doch sie hält die Selbstverleugnung auf Dauer nicht durch. Am Ende eskalieren die Spannungen zur Krise mit offenem Ausgang.
Blick für das Wesentliche
Im Publikumsgespräch nach der Vorführung sagt Regisseurin und Drehbuchautorin Maren Ade, sie habe ein „modernes Paar“ zeigen wollen, also Menschen, deren Beziehung nicht auf konventionellen Rollenmustern beruht. „Alle Anderen“ zeigt diese beiden nun in einem Moment des Umbruchs, in einer Situation, die sie zwingt, Grundentscheidungen zu fällen, die eigene Haltung zu finden, sich auszuprobieren.
Der Film behandelt diese Orientierungsphase mit angenehmer Unvoreingenommenheit und einem Blick auf das Wesentliche. Er erzählt eine Geschichte über Rollenbilder, aber sie lässt ihre Figuren Individuen sein, gezwungen, sich auseinanderzusetzen, aber nicht gezwungen, auf eine bestimmte Art zu sein.
Damit packt er ein Thema mit gesellschaftlichen Implikationen an, aber er belässt es auf der persönlichen Ebene. Wir sehen hier nicht in erster Linie Opfer irgendwelcher Rollenklischees, sondern Persönlichkeiten. Da diese Beziehungskiste auch noch ziemlich witzig sein kann, herausragende Schauspielleistungen bietet und eine genaue Spiegelung für menschliche Verhaltensmuster, ist ihm der Regiepreis des Frauenfestivals nur zu wünschen.